Wir lassen lesen: Sendboten des Grauens
■ Das schwere Los der Fußball-Schwafler
Sie haben es schon schwer, die Fußballkommentatoren. Vor allem jene, die ihre Ware einschaltquotenträchtig im Fernsehen verscherbeln müssen. Andere Vertreter der kontemporären TV-Unterhaltung können ihr Publikum relativ zielgenau anpeilen: mattscheibensüchtige Dauerkonsumenten leichter und leicht-dämlicher Unterhaltung oder fehlgeleitete Intellektuelle, die sich im Völlegefühl ihrer geistigen Überlegenheit mit wohligem Gruseln am gebotenen Tiefgang laben. Fußballmoderatoren und -kommentatoren müssen jedoch ein breiteres Spektrum bedienen, dessen einzelne Segmente, so verschieden sie auch sein mögen, eines gemeinsam haben: Sie nehmen die Sache furchtbar ernst.
Versucht der Reporter zur Freude der kritischen Fußballästheten, Distanz zum Geschehen auf dem Rasen zu wahren und mit feinsinnigen Analysen zu brillieren, wird er weithin der Miesmacherei geziehen, seine Popularitätskurve sackt ab und die Angebote zur Moderation von Betriebsfesten und Miß- Wahlen gehen in existenzbedrohender Weise zurück. Orientiert er sich hingegen am Klischee des biertrinkenden Chipsfressers, der nichts anderes will, als daß Deutschland, Dortmund oder in Einzelfällen auch Bayern gewinnt, schreien all jene Verrat, die die Bundesliga-Senderechte am liebsten bei „arte“ sehen würden und für die jede Superzeitlupe eine Art imperialistische Verschwörung darstellt. Dem Fußball werde durch die Highlight-Clips seine Authentizität geraubt, jammern sie, aber wenn dann tatsächlich Dortmund gegen Bukarest kommt, ist es auch nicht recht.
Die Fernsehleute wissen natürlich, wer ihnen die Quoten bringt, und so bedienen sie genau jene Klientel, die ihnen auch als Studiopublikum zujubelt. Zur Strafe sitzen Heerscharen von intellektuellen Feuilletonisten vor dem Bildschirm, die jeden verbalen Mißgriff akribisch notieren, um am nächsten Tag Artikel oder Bücher darüber zu schreiben.
Das ist völlig in Ordnung. Warum bieten diese TV-Heinis auch eine derart breite Angriffsfläche, daß man auch die hundertste Polemik mit diebischem Vergnügen liest. Das Büchlein „Wieder keine Anspielstation“ bietet ein äußerst amüsantes Sammelsurium solcher Polemiken, und nahezu jeder bekommt das Fett weg, das er sich redlich verdient hat. Bei Marcel Reif etwa, dem Schrecken aller Biertrinker, reicht ein einziger Satz zur Charakterisierung: „Er sagt was Kluges, das sieht man gleich.“ Trefflicher und vernichtender läßt es sich kaum formulieren. Ebenso gnadenlos wird das infernalische Champions- League-Duo (Jauch: „Au ja, hähähä!“ Beckenbauer: „Hähähä.“) demaskiert, und auch der klebrige Charme des Jörg Wontorra entgeht natürlich nicht einer genüßlichen Vivisektion.
Fasel-Hansch ist „der Stehplatz-Bottroper, dem noch der Kohlenstaub aus den Hosenbeinen rieselt“, Johannes B. Kerner wird als „in Sat-1-Labors durchmetamorphorisiertes Gelatinewesen, das, geschickt kaschiert durch Sport-Sakko und Jeans, Moderatorengestalt angenommen hat“, enttarnt, und besonders hart trifft es Ulli Potofski mit seiner „Frisur, die an die Brustbehaarung von Tom Selleck gemahnt“. Beckmann, Steinbrecher, Delling, Oertel. Töppi, Waldi, Rubi, Kalli und – Lebensgefahr! – natürlich Kalle, sie alle treten auf und gründlich gezaust wieder ab. Nur die Altvorderen – Huberty, Michel und Thoelke – in ihren Glanztagen durchaus gern geschmäht, heimsen Lob ein, was mutmaßlich an der verklärenden Komponente mancher Langzeitgedächtnisse liegt.
Eine gewisse Verflachung tritt im letzten Teil des Buches ein, wo Schreiber wie Walter Jens, F.C. Delius, Helmut Böttiger und Dietrich Schulze-Marmeling durch die Mangel gedreht werden und das Ganze in die Sparte „Leute, die über Fußball schreiben, mokieren sich über andere Leute, die über Fußball schreiben“ absackt.
Sehr schön dagegen der Ausflug in die „Reporterschule“ Barsinghausen, wo „leere Worthülsen“ herumliegen, die Kursteilnehmer von gestrengen „Zeilenschindern“ beim „Dampfplauderstündchen“ traktiert werden und sich anschließend am „Wortmüllschlucker“ erleichtern. Und während einige noch ein zünftiges Phrasen-Quartett dreschen, säuselt Marcel Reif beim Einschlafen ein tagbeschließendes „Giuseppe-Meazza-Stadion“ ins Kopfkissen. Der Letzte macht das Flutlicht aus. Matti Lieske
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