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Im Schatten der Generäle

Nigerias Opposition, von Verfolgung und Fragmentierung geplagt, sucht nach einer effektiven Strategie zur Überwindung der Militärdiktatur  ■ Von Dominic Johnson

Die internationale Kampagne gegen die Militärdiktatur in Nigeria hat an Schwung verloren. Die Ermordung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa von der Ogoni-Minderheit zusammen mit acht weiteren Ogoni-Aktivisten im November 1995 rief zunächst weltweit Proteststürme hervor. Als dann der Versuch scheiterte, ein internationales Ölembargo gegen das vom Ölexport abhängige nigerianische Regime durchzusetzen, wich der Zorn Ratlosigkeit. Lediglich in den USA mobilisieren afro- amerikanische Kongreßabgeordnete im „Black Caucus“ weiter für härtere Sanktionen gegen Nigeria nach dem Modell der Maßnahmen gegen Apartheid-Südafrika.

Nun konzentrieren sich die internationalen Bemühungen, demokratischen Wandel in Nigeria zu erreichen, auf den Aufbau besserer Kontakte nach Nigeria hinein. Weltweit mehren sich Kontakte zwischen nigerianischen Aktivisten und ausländischen Sympathisanten, besonders Veteranen des Anti-Apartheid-Kampfes in Südafrika. Ende Februar und Anfang März kehrten sämtliche westliche Botschafter nach Nigeria zurück, die nach Ken Saro-Wiwas Hinrichtung von ihren Regierungen aus Protest abberufen worden waren. Eine UN-Delegation – allerdings eingeladen von Nigerias Regierung – bereiste das Land zwischen Ende März und Anfang April, um der UN-Menschenrechtskommission in Genf einen Bericht vorzulegen. Sie traf unter anderem Chief Moshood Abiola, inhaftierter Sieger der vom Militär annullierten Präsidentschaftswahl vom 12.Juni1993.

Daß der vom Volk gewählte Abiola Präsident Nigerias sein sollte, ist Konsens aller nigerianischen Oppositionsgruppen. Einhellig fordern sie, daß Abiola eine einjährige Übergangsregierung leiten solle, die eine souveräne Nationalkonferenz zur Neugründung eines demokratischen nigerianischen Staates einberuft.

Schwieriger ist die Frage der Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Das Bündnis „National-Demokratische Koalition“ (Nadeco), derzeitiger Wortführer innerhalb der Opposition, glaubt an eine Versöhnungslösung mit den Militärs: „Es ist unsere Überzeugung, daß mit entschlossenem Widerstand des nigerianischen Volkes gegen Militärherrschaft und Druck besorgter freundlicher Demokratien in der ganzen Welt das Militärregime in Nigeria die Weisheit erkennen wird, den ehrenvollen Weg zu gehen und auf dem Verhandlungsweg die Macht abzugeben“, heißt es im Nadeco-Programm.

Entsprechend tritt Nadeco für internationale Sanktionen gegen Nigerias Militär ein und zugleich für inneren Dialog mit dem Militär. Mitte Dezember 1995, als das Regime sich im Zuge der Hinrichtung Ken Saro-Wiwas in der Defensive zu befinden schien, gründete Nadeco ein 21köpfiges Komitee, um Verhandlungen mit Abachas Junta aufzunehmen. Im Februar forderte Chief Anthony Enahoro, 72jähriger Veteran der nigerianischen Unabhängigkeitsbewegung und eine der Nadeco- Führungspersönlichkeiten, ein Referendum zwischen den konkurrierenden Programmen von Regierung und Nadeco. Im März versuchten einzelne Nadeco-Politiker, an den Kommunalwahlen teilzunehmen.

Appell an die „Weisheit“ der Militärs

Die Bemühungen Nadecos werden vom Regime nicht honoriert. Die Regierung ignorierte das Verhandlungskomitee und disqualifizierte die Nadeco-Kandidaten für die Kommunalwahl. Wada Nas, Nigerias „Minister für Sonderangelegenheiten“, nannte Nadeco „eine diskreditierte Gruppe, die verzweifelt ein demokratisches Image zu pflegen versucht“.

Hintergrund der Nadeco-Bemühungen ist das „Übergangsprogramm“, das Juntachef Sani Abacha in einer Rede zum letzten nigerianischen Unabhängigkeitstag am 1.Oktober 1995 verkündet hatte. Demnach soll Nigeria bis zum 1.Oktober 1998 wieder zur Zivilherrschaft mit einem gewählten Präsidenten zurückkehren. Als ersten Schritt fanden im März Kommunalwahlen statt, bei denen allerdings weder Parteien antreten durften, noch eine geheime und direkte Wahl stattfand. Als zweite Stufe beginnt im Juni die Wiederzulassung politischer Parteien, die seit Abachas Putsch im November 1993 verboten sind.

Das hat Nigerias demokratische Opposition ducheinandergewirbelt. Einige Gruppen, zum Beispiel Nadeco, wollen sich am „Übergangsprogramm“ beteiligen, um den Zug nicht zu verpassen. Andere mißtrauen Abacha und erwarten, daß er, wie schon sein Vorgänger Ibrahim Babangida, die versprochene Demokratisierung immer wieder hinausschieben und schließlich absagen wird.

Ein oppositioneller Rechtsanwalt warnt: „Nadeco hat den Leuten falsche Hoffnungen gemacht, indem sie den Eindruck erweckte, daß die Demokratie schon morgen kommt. Und dann, bevor es jemand merkt, diskutiert sie das Abacha-Übergangsprogramm.“ Die Oppositionsgruppe „New Nigeria Forum“, zu deren Führung Ola Soyinka – Sohn des Schriftstellers Wole Soyinka – gehört, äußert sich in der neuesten Ausgabe ihres Rundbriefes offen kritisch über Nadecos Führer: „Es wird befürchtet, daß diese alten Staatsmänner nicht in der Lage sein könnten, ihre jüngeren Kollegen noch lange zurückzuhalten“, warnt die Zeitschrift; das Regime verstehe „nur die Sprache der Gewalt“.

Nadeco bekennt sich zur strikten Gewaltlosigkeit, ebenso die Ogoni-Bewegung Mosop, die auf das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen der winzigen Ogoni-Minderheit und dem nigerianischen Staat verweist. Dagegen hat eine bisher unbekannte „Vereinigte Nigerianische Befreiungsfront“ (UNLF) behauptet, der Absturz eines Flugzeuges mit unter anderem Abachas Sohn an Bord im Norden Nigerias am 17.Januar sei ein Bombenanschlag gewesen. Am Tage danach explodierten zwei Bomben in den nordnigerianischen Städten Kaduna und Kano.

Die Anschläge dienten dem Regime als Anlaß zu einem erneut verschärften Kurs gegen die Opposition. Prominente Regimegegner wurden verhaftet. Viele Oppositionelle halten daher Gewalt für genauso fragwürdig wie eine überhastete Gründung von Parteien in Erwartung von Wahlen 1998. Taiwo Akinola, Londoner Führer der „Kampagne für Demokratie“ (CD), meint: „Wir mobilisieren die Öffentlichkeit gegen die Militärs, denn sie sind nicht allein – wären sie allein, wären sie schon längst weg vom Fenster. Man sollte nicht denken, daß wir es in zwei bis drei Jahren schaffen. Wir müssen zu einem langen Kampf bereit sein.“

Ganz so lange wollen einige aber nicht kämpfen. Weithin wird erwartet, daß die unübersichtliche Vielfalt oppositioneller Gruppen ab Juni versucht, sich in eine ebenso unübersichtliche Vielfalt politischer Parteien zu verwandeln. Da das Regime sich die Zulassung von Parteien vorbehält und die Regierung bei registrierten Parteien ein Mitspracherecht bei deren Kandidatenaufstellung zu möglichen Wahlen genießen soll, ist der Sinn dieses Vorgehens fragwürdig. Zumal folgt der Parteibildungsprozeß offenbar den Vorbildern der gescheiterten früheren Mehrparteienzeiten in Nigeria – die Erste Republik 1960–1966 und die Zweite Republik 1979–1983.

„Ethnische“ Parteien wie in der Vergangenheit?

Nadeco gilt in dieser Konstellation als mögliche Vorstufe einer Partei der Elite des westnigerianischen Yoruba-Volkes in der Region um Lagos, Nachfolgerin der „Action Group“ (AG) der 50er und 60er Jahre und der „United Party of Nigeria“ (UPN) von 1979. In einem programmatischen Statement lobt Nadeco Nigerias Erste Republik als „beste Regierungszeit im Sinne von Ehrlichkeit und Entwicklung, die Nigeria je erlebt hat“. Das mag verwundern, war doch ein herausragendes Ereignis dieser Zeit der politische Prozeß gegen den damaligen AG-Regionalchef und heutigen Nadeco-Führer Anthony Enahoro wegen Landesverrats. Doch gemeint ist, wie das Statement weiter ausführt, die damalige Verfassung Nigerias, die das Land in drei Regionen teilte – der Westen, beherrscht von Yorubas; der Osten, beherrscht von Ibos; und der die beiden anderen Regionen dominierende Norden, beherrscht von den muslimischen Fulani-Emiren. Zu dieser Konstellation, die direkt in den blutigen Bürgerkrieg nach der Ausrufung eines eigenen Staates „Biafra“ durch Ibo-Militärs führte, will Nadeco zurückkehren.

Einige Oppositionelle aus der Region um Lagos halten das für zu konservativ und haben eigene Gruppen gegründet, so die „Nationale Bewußtseinspartei“ von Anhängern des inhaftierten Bürgerrechtlers Gani Fawehinmi. Der Schriftsteller Wole Soyinka führt eine „Nationale Befreiungskonferenz Nigerias“ (Nalicon), die statt Beteiligung am politischen Prozeß in Nigeria für die Errichtung einer Exilregierung plädiert. Die Rhetorik einer neuen Gruppe namens „Demokratische Alternative“ ähnelt der von radikalen Ibo-Politikern aus Ostnigeria in den 60er Jahren: Sie kritisiert alle bisherigen Regierungssysteme Nigerias als „korrupt, visionslos und unfähig“ und spricht bewußt wenig von der Problematik der Machtbalance zwischen den Regionen Nigerias und dem Schutz der Rechte von Minderheiten. Die Interessen der muslimischen Eliten des Nordens sind bestens bei der Abacha-Regierung aufgehoben, und es ist nur eine Frage der Zeit, bevor sie eifrig Abacha-treue politische Parteien ins Leben rufen.

Eine solche Vielfalt mag sehr demokratisch aussehen, doch Beobachter sehen es eher als Beweis für die traditionelle Fragmentierung der nigerianischen Politik. Das hat natürlich auch damit zu tun, daß die halbe nigerianische Opposition ständig monatelang ins Gefängnis gesteckt wird und die andere Hälfte darauf wartet, daß sie auch an die Reihe kommt. Das verhindert stabile Politik.

So hat die älteste Demokratiebewegung Nigerias, die „Kampagne für Demokratie“ (CD), seit kurzem zwei rivalisierende Vorstände. Der Hintergrund: Im Laufe des Jahres 1995 saßen sowohl der CD-Vorsitzende Beko Ransome-Kuti wie auch der Generalsekretär Sylvester Odion im Gefängnis. Als Odion zur Jahreswende wieder freikam, war er nicht mit den in der Zwischenzeit getroffenen Personal- und Finanzentscheidungen einverstanden und schmiß auf einem Sonderkongreß mehrere CD-Aktivisten heraus, darunter Vizegeneralsekretärin Joe Okri und Schatzmeister Chris Nderibe. Sie erkennen nun ihre Absetzung nicht an. „Eine Spaltung ist das nicht“, verteidigt sich Odion im Gespräch. Was ist es dann? „Jede Organisation hat ihre Widersprüche.“

Ein anderes Handikap für die Opposition besteht darin, daß Nigerias Bevölkerung zu sehr mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist, um massenhaft kontinuierlich auf die Straße zu gehen. „Unsere Zivilgesellschaft ist tot“, sagt der Menschenrechtsaktivist Emmanuel Ezealo: Die lange Militärherrschaft habe jegliche Idee von Basisorganisation zerstört. Der ehemalige Senator H. A. R. Fashinro aus dem Norden Nigerias, Jurist seit den 50er Jahren, meint: „Das Grundproblem besteht darin, wie man den Leuten ihre Rechte beibringt. Die Jüngeren haben keine Bildung bekommen, und daher zögern so viele von ihnen, diese Bürgerrechtsbewegungen ernst zu nehmen.“ Osa Director von der Oppositionszeitschrift Tell urteilt: „Nigerias größtes Problem ist, daß es voller opportunistischer Politiker und Scharlatane steckt. Unsere Generation ist eine verratene Generation.“

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