■ Der erfolgreiche Japan-Besuch Clintons täuscht: In Asien werden nicht mehr die alten Spiele mit den USA gespielt
: Handel statt Flugzeugträger

Kaum hatte Präsident Bill Clinton in Tokio die Air Force One zur Weiterreise nach Moskau bestiegen, begannen in Japan heftige Spekulationen über die bisher nicht registrierten Ergebnisse seines dreitägigen Besuchs. Zunächst war sich die japanische Öffentlichkeit noch einig gewesen, daß der „Feel good“-Gipfel in Tokio vor allem zur Aufpolierung eines Sicherheitsbündnisses dienen sollte, das nach der Vergewaltigung eines Schulmädchens durch drei US-Soldaten auf Okinawa dringend eine öffentlichen Korrektur benötigte. Doch nun fragten sich viele Japaner, ob die Regierungen im Schatten des Jubels über die Beschlüsse zum Abbau der Militärbasen auf Okinawa nicht viel weiter gegangen waren, als man erwartet hatte.

Japanische Zeitungen wußten plötzlich von einer „bedeutenden Wende der Tokioter Verteidigungspolitik“ zu berichten. Als ein Zeichen dafür sahen sie die geplanten Gespräche zwischen Tokio und Washington über die Zusammenarbeit ihrer Truppen im Krisenfall. Noch im Golfkrieg hatte Japan außer Geld nichts zu den Aktionen von Washingtons Verbündeten beigesteuert.

Aus amerikanischer Sicht war man aus entgegengesetzten Gründen dazu geneigt, die Gipfelgeschehnisse überzubewerten. Clintons Reise wurde als Triumphzug nach der erfolgreichen Entsendung von Flugzeugträgern gegen China gefeiert. Die New York Times lobte Japan, weil dort die Regierung eine „weitreichende Bestätigung der amerikanischen Militärpräsenz in Asien“ abgegeben habe. Am Ende schienen sich Befürworter und Kritiker der Achse Washington–Tokio auf beiden Seiten einig zu sein: Aus ihrer Sicht hatte sich Japan wieder unter das schützende Dach Amerikas gestellt und damit seinen säkularen Emanzipationsprozeß von der westlichen Vormacht brüsk gestoppt.

Mit anderen Worten: Ein paar chinesische Raketentests vor der taiwanischen Küste und die jüngsten Angriffe Nordkoreas auf die mit dem Süden vereinbarte Waffenstillstandszone hätten ausgereicht, um Tokio vor den drohenden regionalen Konflikten zu warnen, deren Lösung die Japaner dann besser einer so welterfahrenen Macht wie Amerika überlassen.

Für den Westen bietet sich damit eine selbstbestätigende Interpretation der politischen Entwicklung in Asien an. Wenn schon die unbestrittene ökonomische Führungsmacht der Region, Japan, heute wieder in die alte Duckstellung des Kalten Krieges verfällt, wird von der Pax Asiatica wohl nicht mehr lange die Rede sein. Ohnehin merkt sich der Westen lieber die bösen Gesichter der Diktatoren aus Peking oder Pjöngjang.

In gewisser Weise ist diese Weltsicht sogar moralisch gerechtfertigt. Wer für amnesty international Briefe zur Freilassung politischer Gefangener schreibt, hat es in Asien zwangsläufig mit einigen der grausamsten Regime dieser Welt zu tun. Doch führt die immer nötige und berechtigte Einklage der Menschenrechte in Asien bei westlichen Beobachtern zu den gleichen politischen Fehleinschätzungen wie jetzt nach dem Clinton-Besuch in Tokio: Es wird dann allzuleicht suggeriert, in Asien herrsche Gewalt und Chaos, die sich in letzter Konsequenz nur durch den Einsatz amerikanischer Flugzeugträger kontrollieren ließen.

Viele dieser Krisenbilder sind auch in Asien noch allgegenwärtig: Singapurs ehemaliger Premierminister Lee Kuan Yew war einer der ersten, der nach der Taiwan-Krise eine starke Asien-Präsenz der USA einforderte, damit Süd- und Ostasiaten „sich nicht zwischen China und Japan entscheiden müßten“.

All diese strategischen Kalküle, alle vorausgesagten Krisen und Großmachtkonflikte haben jedoch spätestens seit Ende des Kalten Krieges erstaunlich wenig Einfluß auf das tägliche Leben der meisten Asiaten gehabt. Japan ist das beste Beispiel dafür. Das Sicherheitsbündnis mit den USA war hier seit Jahren kein Thema mehr. Die sich dramatisch verändernden Wirtschaftsbeziehungen zu China dagegen sehr wohl. Nicht die angeblich drohende Aufrüstung Chinas zur Militärgroßmacht fürchten viele Japaner, sondern die billigen chinesischen Produktionsstätten japanischer Firmen, die in Osaka oder Yokohama die Arbeitsplätze zerstören.

So ungeheuer schnell ist das Tempo der wirtschaftlichen Veränderungen innerhalb Asiens, daß die meisten politischen Analysen auf längst überlebten Argumenten zu basieren scheinen. Was etwa bedeutet es für das japanisch-amerikanische Bündnis, wenn die japanischen Investitionen in China im letzten Jahr erstmals diejenigen amerikanischer Unternehmen überholten? Vor zehn Jahren bildete der japanische Handel mit Asien nur einen Bruchteil des japanischen Handels mit Amerika. Heute ist der Asienanteil in der japanischen Handelsbilanz bald doppelt so hoch wie der mit Amerika. Doch noch trägt die Politik keiner Regierung den wirklich revolutionären Entwicklungen in Asien Rechnung.

Die echten politischen Interessenkonflikte der Region sind also gerade erst im Entstehen. „Die asiatisch-pazifische Region ist zum dynamischsten Gebiet der Welt geworden“, schreiben Bill Clinton und Ryutaro Hashimoto in ihrer Bündniserklärung. Dieser Satz allein läßt ahnen, daß die politischen Karten in Asien derzeit noch nicht verteilt sind. Das gilt widerum exemplarisch für Japan, dem gleichwohl stabilsten Land der Region. Keiner weiß heute, in welcher Form sich die derzeitige Phase der Koalitionsregierungen in Tokio zu einem neuen parlamentarischen Regime oder etwas ganz anderem entwickelt.

Sicher ist nur, daß die zweitstärkste Wirtschaftsnation ihre Macht schon heute auf eine vielerorts unterschätzte Art und Weise ausspielt: bei den regionalen Foren wie Apec oder Asean, bei der Infrastrukturplanung der asiatischen Wirtschaften oder der Entwicklungshilfe.

So vermittelt der Japan-Besuch von Präsident Clinton den Eindruck, als wolle Tokio noch eine Weile das alte Spiel spielen, bis die Regierungen in Asien soweit sind, ihre eigenen Regeln zu setzen. Amerika und dem Westen wird damit freilich die gefährliche Illusion nahegelegt, Herr über eine Lage sein, die derzeit niemand politisch kontrolliert.

Insofern gilt auch: Nicht die mit altmodischen Mitteln geführte Taiwan-Krise, sondern der mit allen Tricks globaler Lobby- und Konzernmächte geführte Handelskonflikt zwischen Tokio und Washington bleibt die gültige Metapher für Asiens zukünftigen Fronten. Georg Blume, Tokio