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Ein Ort für Heldentaten

Gesichter der Großstadt: Der Wagner-Tenor René Kollo muß als neuer Intendant frischen Wind in das Metropol-Theater an der Friedrichstraße bringen  ■ Von Myriam Hoffmeyer

Der Mann ist erschöpft. Den ganzen Tag lang hat er geredet, dabei schadet das der Stimme, und morgen muß er singen. Aber die Routine hält ihn aufrecht. Tapfer nimmt René Kollo seine bekannte Fotografierpose ein, öffnet weit die müden wasserblauen Augen, verzieht den Mund in dem 58jährigen Kindergesicht zu einem bemüht-versonnenen Lächeln. Dann greift er erleichtert nach den beiden großen Papiertüten aus der Lafayette-Feinschmeckerabteilung, wirft einen prüfenden Blick aus dem Fenster und eilt davon: „Nach Hause, mein Hühnchen braten.“

Vom Intendantenzimmer im Metropol-Theater sieht man tagsüber nur Baukräne und den S-Bahnhof Friedrichstraße, abends läßt sich durch einen Blick in den Hof das Zuschaueraufkommen der Abendvorstellung feststellen. Der Raum ist DDR pur: braunes Furnier an den Wänden, braune Türpolster aus Kunstleder, dunkler Teppichboden, ein Plaste- Schrank in Eiche-Imitat. Den Intendanten stört es nicht groß. In einem riesigen Kasten hinter ihm stapeln sich Musical-Exposés. „Kann man alles nicht aufführen“, sagt Kollo: „Gute Ideen, schlecht umgesetzt.“

Wie aber überhaupt frischer Wind ins Metropol kommen soll, das während der Spardebatte schon dem Untergang geweiht schien, weiß der Intendant auch nicht. „Bandbreite“ und „Spannweite“ gehören zu seinen Lieblingswörtern – weiterhin soll es also ein möglichst vielfältiges Repertoire aus Operetten und Musicals geben, Werke von opernhafter Opulenz ebenso wie kleine, witzige Kammerspiele. „Natürlich darf die Operette nicht daherkommen wie zu Omas Zeiten“, erklärt Kollo, meint damit aber eigentlich nur den Abschied von Rüschenröcken und Sonnenschirmchen. Von „Regiemätzchen“ hält er nichts, die grandiose „Weißes-Rößl“-Aufführung in der „Bar Jeder Vernunft“, in der die ganze Gattung parodiert wird, hat er gar nicht gesehen. Kollo setzt auf Qualität: Solide Wertarbeit soll mehr Publikum in den Admiralspalast locken. Ansonsten hofft er auf eine Zeit, in der die Baugruben geschlossen sind und Ströme von vergnügungshungrigen Touristen die Friedrichstraße entlang flanieren.

Vorläufig aber muß das Metropol eisern sparen. Von den 34 Millionen Mark Subventionen, die René Kollo verlangte, hat das Theater nur knapp 31 bekommen. Er selbst hatte schon sechs Monate gratis gearbeitet, bevor er vor kurzem den Intendantenvertrag unterzeichnete. Die Berliner Musikerfamilie der Kollos und das Metropol sind seit Generationen verbandelt, schon Großvater Walter und Vater Willi Kollo führten dort ihre erfolgreichen Operetten auf. Auch René Kollo hat die leichte Muse ausgiebig geküßt: Mit dem Schlager „Hallo, Mary Lou“ hatte er den ersten großen Erfolg, bevor er seine Gesangsausbildung begann. Das Debüt in Bayreuth 1969 war der Anfang einer steilen Karriere, Kollo wurde der bedeutendste Wagner-Tenor der siebziger und achtziger Jahre. Nebenher trat er in Operettenfilmen und Fernsehshows auf. E- und U-Musik müsse man gleichermaßen gelten lassen, meint er: „Das ist ein Baum mit vielen Zweigen, auf denen ich herumhopse.“ Wenn Pavarotti im Olympiastadion auftritt, ist das für Kollo allerdings „nicht mehr Kunst, sondern Zirkus“. Und die Musik-Häppchen auf Sammel- CDs und im Klassik-Radio widern ihn an. „Es ist pervers, aber die Leute wollen das. Ich habe selber viel Quatsch in der Richtung gemacht.“

Durch Disziplin und kluges Haushalten mit seiner Stimme hat Kollo seinen von Natur aus eher flachen, lyrischen Tenor zum Heldentenor ausgebildet und sich die Kraft und Klarheit seiner Stimme länger als die meisten bewahrt. In den letzten 35 Jahren hat er an allen großen Opernhäusern der Welt gesungen, jetzt ist das Ende der Sängerkarriere nahe. Nachwuchs für das Heldentenorfach aber ist kaum in Sicht. „Es wird bald keine Oper mehr geben, weil die Sänger heute zu früh zu schwere Partien singen“, sagt Kollo. „Der Betrieb preßt die Leute aus wie Zitronen und schmeißt sie dann weg.“ Er selbst hat es besser gehabt, nicht zuletzt wegen seiner Sturheit: Wenn er sich schlecht behandelt fühlte, schmiß er die Aufführung, auch wenn sie von Karajan geleitet wurde. Allein auf das Wort „Regietheater“ reagiert Kollo allergisch: „Die Sänger müssen über die Bühne rasen, auf dem Kopf stehen und nebenbei noch singen. Nach ein paar Jahren sind die fertig.“

1986 führte Kollo – mit mäßigem Erfolg – zum erstenmal selbst Regie. Auf seinen „Parsifal“ in Darmstadt folgte eine „Tiefland“- Inszenierung in Ulm. Auch am Metropol möchte Kollo als Regisseur arbeiten und obendrein an etwa dreißig Abenden im Jahr singen. Zur Zeit spielt er den Prinzen in Lehars „Land des Lächelns“. Je mehr er sich aber vornimmt, desto größer wird dann auch das Bedürfnis nach Ruhe. Kollo, seine Frau und die drei Kinder haben das Haus in Mallorca behalten. Der frischgebackene Intendant macht kein Geheimnis daraus, wie er sich den idealen Arbeitsrhythmus vorstellt: „Drei Wochen Metropol, zwei Wochen in der Sonne liegen.“

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