: Harmonisch eingefügter Baustil
Das Weimarer Hotel Elephant feiert den 300. Geburtstag – nicht unter den Gratulanten: Adolf Hitler ■ Von André Meier
Es ist zehn vor acht, und Friedrich Mennecke beschließt, seiner Frau einen Brief zu schreiben. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn schließlich reist der Mediziner seit über einem Jahr durch Deutschland, um in psychiatrischen Anstalten und Konzentrationslagern im Auftrag der Kanzlei des Führers und im Rahmen des Euthanasieprogramms zu „selektieren“. Auch an diesem 26. November 1941, da der Arzt und SS-Offizier in seinem Zimmer im Weimarer Hotel Elephant sitzt und zur Feder greift, um seiner Frau über die Arbeit im nahe gelegenen KZ Buchenwald Bericht zu erstatten: „Wir waren um 8.30 Uhr heute früh draußen. [...] Zunächst gab es noch ca. 40 Bögen fertig auszufüllen von einer Portion Arier, an der schon die beiden anderen Kollegen gestern gearbeitet hatten. Von diesen 40 bearbeitete ich etwa 15. [...] Um zwölf Uhr machten wir erst Mittagspause und aßen im Führer-Kasino (1 a! Suppe, gekochtes Rindfleisch, Rotkohl, Salzkartoffeln, Apfelkompott – zu 1,50 Mk!), keine Marken.“
Kuponfreies Essen im Führer- Kasino auf dem Ettersberg, doch geschlafen wird im Hotel Elephant. Wo sonst, schließlich ist es das erste Haus am Platz, ein Denkmal deutscher Kulturgeschichte und nicht zuletzt „Stätte der Bewegung“.
1938 war das Hotel auf Anweisung des „Führers“ neu errichtet worden. Denn der alte, noch aus der Renaissance stammende Urbau drohte einzustürzen. Adolf Hitler selbst reiste zur Einweihung des neuen „Haus Elephant“ in die thüringische Gauhauptstadt, und Zehntausende Weimarer bereiteten ihm einen begeisterten Empfang. Damit nicht genug. Noch Stunden nach seiner umjubelten Fahrt durch die Straßen der Stadt belagerten die enthusiasmierten „Volksgenossen“ den Neubau und versuchten, ihren „geliebten Führer“ mit immer neuen Sprechchorkreationen auf den Balkon zu locken.
„Die Dichtkunst der Weimarer“, schrieb die Thüringer Gauzeitung, „feierte dabei förmliche Triumphe. Neben den schon bekannten Versen ähnlicher Sprechchöre konnte man da den neuen Ruf hören: ,Lieber Führer, hilf der Not, wir müssen bald zum Abendbrot!‘ Dann wieder, als der Gerufene sich noch immer nicht zeigte, versuchte man es in einem anderen Ton: ,Lieber Führer, sieh's doch ein, wir können alle nicht mehr schrei'n!‘ Endlich wußte man sich nicht anders zu helfen, als den Gauleiter um Unterstützung der allgemeinen Bitte anzurufen. Vielstimmig klang der Ruf über den Platz: ,Lieber Sauckel, sei ein Mann, schaff' uns unseren Führer ran!‘ Da konnte der Führer nicht anders und zeigte sich der jubelnden Menge an der Seite des glückstrahlenden Reichsstadthalters.“
Hitler hat auch keinen Grund, seine Weimarer zu enttäuschen. Schließlich gehörte Thüringen zu den wenigen deutschen Ländern, die Adolf Hitler nach seiner Haftentlassung aus Landsberg kein Redeverbot erteilten. So wurde die Landeshauptstadt Weimar, die Stadt Goethes und Nietzsches, seit Mitte der zwanziger Jahre zu einem bevorzugten Auftrittsort des NSDAP-Vorsitzenden. Erst recht, als die Nationalsozialisten im Januar 1930 in der neuen, konservativen Landesregierung mit Wilhelm Frick ihren ersten Minister stellen dürfen. Das traditionsreiche Elephant war in jenen Jahren nicht nur Hitlers Thüringer Stammquartier, sondern auch eine beliebte Kulisse für die Aufmärsche seiner immer zahlreicher werdenden Anhänger.
Das ist Geschichte, und die wiederum ist für Weimar so wichtig wie für Sylt die Nordsee. In drei Jahren soll die deutsche Klassiker- Nekropole Kulturhauptstadt Europas werden. 1999, denn dann jährt sich auch Goethes Geburtstag zum 250sten Mal.
Wer nicht warten kann oder will, darf auch schon jetzt feiern. Das Hotel Elephant begeht in diesem Jahr seinen 300. Geburtstag und nimmt den glücklichen Umstand zum Anlaß, gleich mit einem Dutzend Jubiläumsarrangements gutbetuchte Kulturtouristen in seine Mauern zu locken.
Pro Person im Doppelzimmer 300 Mark für zwei Nächte, darin eingeschlossen ein Begrüßungscocktail, ein Abendessen im hauseigenen Gourmetrestaurant, Stadtführung und Museumsbesuch. Außerdem bietet es die Gelegenheit, sich in die Galerie prominenter Elephanten-Besucher einzureihen. Die reicht von Johann Sebastian Bach bis Frank Zander, von Friedrich Schiller bis Günter Strack, von Leo Tolstoi bis Peter Scholl-Latour.
Namen wie die von Friedrich Mennecke oder Adolf Hitler fehlen allerdings auf der Liste, mit der sich das Elephant gern als berühmteste deutsche Dichter-und-Denker- Herberge präsentiert. Sicher, der SS-Arzt, der 1946 wegen der Ermordung von mehr als 2.500 Menschen zum Tode verurteilt wurde und kurz darauf an Lungentuberkulose starb, war ein Gast unter vielen. Sein Aufenthalt im Elephant wäre kaum bemerkt worden, hätten nicht seine detailversessenen Briefe der Anklage im Prozeß als Beweismittel gedient.
Bei Hitler dagegen fällt es schwer, seine mehr als zwei Dutzend Aufenthalte im Hotel Elephant als historische Marginalie zu werten. Zumal das Haus, so wie es sich heute den Gästen präsentiert, nachweisbar nach des „Führers“ eigenen Vorstellungen errichtet wurde. So jedenfalls beschreibt es Hermann Giesler, der Architekt des Elephant-Neubaus, in seinem 1977 erschienenen autobiographischen Buch „Ein anderer Hitler“. Nicht nur daß dieser Gebäudehöhe, Raumabfolge und zu verwendende Baumaterialien vorschrieb, er nahm im Gespräch mit Giesler und Thüringens Gauleiter Sauckel auch Einfluß auf die künftige Bewirtschaftung des Hauses: „Sauckel, sorgen Sie dafür, daß die Preise für die Übernachtungen niedrig bleiben. Gäste, die sparen müssen, sollten im Hotel Elephant nicht unerwünscht sein. [...] Wenn ich auch selbst keinen Alkohol trinke, eine Hotel-Bar halte ich doch für notwendig. [...] Und, Sauckel: Ein besonderes Problem ist das Personal für ein solches Haus. Sorgen Sie für gute Kräfte, die anständig bezahlt werden. [...] Sehen Sie zu, Giesler, daß Sie den Neubau schnell erstellen. Wenn Sie ein Appartement für mich nach der Gartenseite einbauen, würde ich das dankbar begrüßen.“
Das holzgetäfelte „Führer-Appartement“ gibt es noch immer. Nur wird der Trakt jetzt als „Beletage“ geführt und dient Geschäftsleuten als intimer, aber durchaus repräsentativer Konferenzraum. Über dem Kamin findet sich heute statt der Karte „Großdeutschlands“ eine Otto-Dix-Graphik. Solch subtile Änderungen des ursprünglichen Ambientes sind durchaus programmatisch gemeint. Sie gehören zum Konzept der Münchner Flamberg-Gruppe, die 1991 das ehemalige Interhotel erwarb. Zwei Jahre später ließ man das Haus von allen architektonischen DDR-Überlagerungen befreien und gab ihm damit sein von Hitler und Giesler geprägtes Gesicht zurück. Nur fehlte der Mut, sich zu diesem denkmalpflegerischen Akt zu bekennen. So folgt auch Hoteldirektor Norbert Henschel lieber der offiziellen Version seiner Münchner Marketingabteilung und spricht, nach der architekturgeschichtlichen Zuordnung seines Hauses befragt, von „Bauhauseinflüssen, ergänzt durch Art- deco-Elemente“. Und „Bauhaus“, so der Mann im kühnen Umkehrschluß, „das gehört zu Weimar.“
Für Henschel, der schon zu DDR-Zeiten als Wirtschaftsleiter im Elephant arbeitete, ist die NS- Ära kein Problem. Weil erstens
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war er da „noch nicht auf der Welt“, und zweitens waren diese Jahre doch nur „eine kurze Episode in der 300jährigen Geschichte des Hauses“. „Die“, so Henschel weiter, „sollte man zwar nicht verschweigen, aber auch nicht überbewerten.“ Augenblicklich wird sie geschickt überlagert: mit Möbeln nach Entwürfen von Henry van de Velde, Walter Gropius und Eckart Muthesius und mit jeder Menge zeitgenössischer Kunst aus dem Aktionsbereich der der Flamberg- Gruppe verbundenen Münchner Galerie Pfefferle. Heftiges aus den Händen der Herren Penck, Baselitz, Lüpertz oder Fetting – Kunst, wie man sie in jeder gut geführten Anwaltskanzlei findet. Auch im Richard-Wagner-Saal wurden die Wände von Jiri Dokoupil mit 14 großformatigen Rußmalereien zur Nibelungen-Saga bestückt. Eine ebenso schwerblütige wie zeichenhafte Höllenmalerei, die Weimars Oberbürgermeister Volkhardt Germer sehr vorsichtig als „gewöhnungsbedürftig“ beschreibt.
Germer residiert im nur ein paar Schritte vom Elephant entfernten Rathaus. Der geborene Weimarer versteht nicht, warum das Flamberg-Management die Geschichte des Hotels verklärt. „Bauhaus ist das bestimmt nicht“, so der kunstsinnige Exsportlehrer, doch würde auch er davor zurückschrecken, die Architektur als „nationalsozialistisch“ zu beschreiben.
Vollendete Tradition
Muß er auch nicht, denn wer will, kann es im Stadtarchiv nachlesen: Am 4. November 1938 verlieh der ehemalige NSDAP-Oberbürgermeister Otto Koch dem „deutschen Mann, Künstler und wahrhaften Nationalsozialisten Hermann Giesler“ das Ehrenbürgerrecht. Weil sich dessen „erstes in Weimar vollendetes Werk, der Neubau des traditionsreichen Haus Elephant [...] in den Rahmen des altehrwürdigen Marktplatzes als Vorbild nationalsozialistischen Baustils harmonisch einfügt“.
Vielleicht ist es dieses „Sich- harmonisch-Einfügen“, was dazu verführt, die Dinge nicht bei ihrem Namen zu nennen. NS-Architektur, erst recht, wenn sie unter direkter Einflußnahme Hitlers entstanden ist, muß offenbar immer brutal mit dem guten Geschmack und den tradierten Proportionen brechen, um als solche anerkannt zu werden. Pech für die Stadt, daß sich Giesler mit seinem zweiten Werk genau an diese Maßgabe gehalten hat. Wer vom Weimarer Hauptbahnhof in das Stadtzentrum gelangen will, muß ein von riesigen, langgestreckten Häusern umrahmtes Areal durchqueren. Es ist das ehemalige „Gauforum“. Nach den Vorstellungen Hitlers ein in jeder deutschen Gauhauptstadt zu errichtendes architektonisches Ensemble, das die wichtigsten nationalsozialistischen Verwaltungsorgane und Massenorganisationen beherbergen sollte. Das von Giesler 1935 für Weimar entworfene Projekt ist allerdings das einzige, das je Gestalt annahm und nun den Weimarern schwer im Magen liegt.
Bis vor einem Jahr war der Umgang mit diesem Ort von hemdsärmeligem Pragmatismus geprägt. Gleich nach dem Krieg zog die sowjetische Militäradministration in die damals noch unverputzten Häuser, stellte ein Stalin-Denkmal auf und ließ den ehemaligen Adolf-Hitler- in Karl-Marx-Platz umbenennen. Nach der Wende strich man auch Marx, ohne daß man sich bis heute auf einen neuen Namen geeinigt hätte. Ansonsten blieb alles wie gehabt: Die Gebäude werden von Behörden genutzt, weder vor, an oder hinter den Mauern findet sich ein Hinweis auf ihre Historie.
Verständlich, lebte doch Weimar jahrzehntelang in dem Glauben, das dunkelste Kapitel seiner Geschichte auf dem Ettersberg und damit weit vor den Toren der Stadt museal entsorgt zu haben. Weimar ist Weimar und Buchenwald eben Buchenwald. Eine Rechnung, die aber nicht mehr aufgeht, seit in der Stadt die Diskussion um die Rolle Weimars als künftige Kulturhauptstadt Europas entbrannt ist. Dafür, daß dieses Ereignis auch endlich eine Entscheidung über die weitere Gestaltung und Nutzung des „Gauforums“ herbeiführen könnte, sollte eigentlich der Name Bernd Kaufmann bürgen. Der ehemalige Chef der Stiftung Weimarer Klassik wurde Anfang des Jahres zum Generalbevollmächtigten der Kulturhauptstadt GmbH berufen. Bereits vorab hat er klargestellt, daß Weimar, wenn es seiner Verantwortung gerecht werden will, 1999 nicht nur mit seinem „Glanz“, sondern auch mit seinem „Dreck“ aufwarten muß.
Also kehren wir noch einmal zurück in das Elephant des Jahres 1941, lesen weiter, was der Euthanasiearzt Mennecke dem lieben „Muttilein“ daheim über seinen ersten Arbeitstag auf dem Ettersberg noch zu berichten weiß: „...Als zweite Portion folgten nun insgesamt 1.200 Juden, die sämtlich nicht erst ,untersucht‘ werden, sondern bei denen es genügt, die Verhaftungsgründe (oft sehr umfangreich!) aus der Akte zu entnehmen. Es ist also eine rein theoretische Arbeit, die uns bis Montag einschließlich ganz bestimmt in Anspruch nimmt, vielleicht sogar noch länger. Von dieser zweiten Portion (Juden) haben wir heute noch gemacht: ich 17, Müller 15. Punkt 17 Uhr ,warfen wir die Kelle weg‘ und gingen zum Abendessen: kalte Platte Cervelatwurst (neun große Scheiben), Butter, Brot, Portion Kaffee! Kostenpunkt 0,80 Mk ohne Marken!!“
Acht Wochen später wohnt Dr. Mennecke im Berliner Hotel Esplanade.
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