: Der GAU kann kommen
■ Zeitvergeudung nach Tschernobyl. Neuer Katastrophenplan des Senats
„Wir waren auf Tschernobyl schlecht vorbereitet.“ Zehn Jahre nach der Reaktorkatastrophe gab der Referatsleiter Strahlenschutz im Senat, Manfred Scheffler, gestern zu, damals unnötig zeitraubende Beratungen geführt haben zu müssen und nicht gewußt zu haben, welche Strahlenmengen als gefährlich einzustufen waren. Selbst für die Strahlenschutzfachleute seien die möglichen Folgen des Unfalls zunächst nicht abschätzbar gewesen.
Erst vier Tage nach der Explosion in Tschernobyl seien in Berlin die Schutzmaßnahmen koordiniert worden. Nachdem in Berlin kontaminierte Milch entdeckt worden war, habe der Senatsstrahlenschützer die halbe Nacht mit Bonn telefoniert, um einen zulässigen Höchstwert für Milchbelastungen zu erfahren – vergeblich. „Gegen Mitternacht forderte mich mein Staatssekretär auf, selbst einen Wert festzulegen.“
Obwohl der GAU die Behörden kalt erwischt hatte, seien die Berliner glimpflich davongekommen. Lebensmittel wurden ständig kontrolliert, der in Berlin für Milch festgesetzte Grenzwert von 100 Becquerel sei nie überschritten worden. Gesundheitliche Schäden, Mißbildungen und so weiter habe es nicht gegeben, so Scheffler.
Glimpflich sei Berlin aber auch aufgrund günstiger meteorologischer Verhältnisse Ende April und Anfang Mai davongekommen. Die Gesamtdosis der durch Tschernobyl ausgelösten Strahlungen betrage über einen Zeitraum von 50 Jahren weniger als 0,5 Millisievert pro Person. Das sei weniger als die in einem Jahr aufgenommene natürliche Strahlungsdosis von 2,4 Millisievert.
Um auf künftige Katastrophen besser vorbereitet zu sein, hat der Senat den „Alarmkalender“ überarbeitet. Der Plan regelt die Einberufung eines Krisenstabes, der binnen einer Stunde zusammenkommen soll. Im Benjamin-Franklin- Klinikum könnten pro Stunde 15 bis 20 verstrahlte Patienten ambulant behandelt werden. Für Bürgerfragen würden im Alarmfall außerdem zehn Telefonleitungen reserviert. Die Medien sollen ständig Meßwerte und Verhaltenstips übermitteln.
Damit der Krisenstab keine Arbeit bekommt, forderte Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU), die Sicherheitsstandards in den östlichen Atomkraftwerken zu erhöhen. Markus Grill
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