: „Die Türkei hat keinen wirksamen Rechtsschutz“
■ Hans-Christian Krüger, Generalsekretär der europäischen Kommission für Menschenrechte in Straßburg, zum Vorgehen bei Beschwerden von kurdischen Folteropfern
taz: Herr Krüger, wie oft wurde die Türkei vom Europäischen Gerichtshof in Straßburg schon wegen Menschenrechtsverletzungen verurteilt?
Krüger: Bis heute kein einziges Mal. Die Türkei hat zwar die Europäische Menschenrechtskonvention schon 1954 unterschrieben. Aber erst seit 1990 erkennt sie auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an.
Inzwischen sind doch aber eine Vielzahl von Beschwerden bei Ihnen eingegangen?
Ja, es sind wohl schon knapp tausend. Ende April wird der Gerichtshof die ersten beiden Fälle verhandeln. Es geht in beiden Fällen um Beschwerden von Kurden. In einem Fall macht ein Kurde geltend, daß er auf einer Polizeiwache in Dyarbakir gefoltert wurde. Ihm seien beide Arme gebrochen worden. Im zweiten Fall geht es um die Beschwerden von mehreren kurdischen Bauern, die angeben, ihr Dorf sei von der türkischen Armee zerstört worden.
Wie hat in diesen Fällen Ihre Kommission votiert?
Sie hat in beiden Fällen eine Verletzung der Konvention erkannt. Aber der Gerichtshof ist daran natürlich nicht gebunden. Wie können Sie nachweisen, daß in türkischen Polizeiwachen gefoltert wird?
Es ist in keinem Land wasserdicht nachzuweisen, daß die Polizei foltert. Wenn jemand aber bei seiner Verhaftung gesund war und mit zwei gebrochenen Armen zurückkommt, dann muß der Staat nachweisen, daß seine Polizei nicht gefoltert hat.
Haben Sie den Eindruck, daß in türkischen Polizeiwachen systematisch gefoltert wird?
Ich bin ein neutraler Beamter und kann nur sagen, welche Beschwerden hier eintreffen und wie sie behandelt werden. Wenn wir hier einige Dutzend Beschwerden über dieselbe Polizeiwache hätten, dann würde das für mich auf systematische Folter hindeuten. Aber die Vorwürfe, die uns vorliegen, unterscheiden sich nach Ort und Art des Geschehens.
Wie reagiert die türkische Regierung auf die Vorwürfe?
Im Falle der kurdischen Beschwerden bestreitet sie in der Regel schon den Sachverhalt. Die Folter sei zu Propagandazwecken erfunden worden, und die Vertreibungen von Bauern seien das Werk der PKK.
Wird es Ende April vor dem Gerichtshof also vor allem um den Beweis von Sachverhalten gehen?
Ich fürchte, daß eine andere Frage im Vordergrund stehen wird. Normalerweise werden Beschwerden nämlich nur angenommen, wenn der innerstaatliche Rechtsweg erschöpft ist. Im Falle der Türkei jedoch hat die Kommission entschieden, daß hier kein wirksamer Rechtsweg zur Verfügung steht und man sofort nach Straßburg gehen kann. Das wird von der türkischen Regierung jedoch nicht akzeptiert.
Woran machen Sie fest, daß in der Türkei kein Rechtsschutz gegen Menschenrechtsverletzungen besteht?
Wenn ein verurteilter Folterer mit sechs Monaten auf Bewährung davonkommt, reicht das als Bestrafung einfach nicht aus.
Was passiert, wenn der Gerichtshof die Türkei verurteilt?
Dann muß sie den Opfern Entschädigungen zahlen.
Und wenn sie die Rechtsprechung einfach ignoriert?
Dann fordert das Ministerkomitee des Europarats Berichte über die Umsetzung des Urteils an.
Das ist alles?
Es kann ganz schön lästig sein, sich alle sechs Monate vor der europäischen Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen.
Nach einer gewissen Zeit wird die Öffentlichkeit abstumpfen.
Dann kann die Türkei aus dem Europarat ausgeschlossen werden. Interview: Christian Rath
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