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Flüchtlingsdrama in Tschetschenien befürchtet

■ 50.000 Menschen in Schali eingeschlossen. Vermittler: Krieg sofort beenden

Moskau (dpa) – In der tschetschenischen Stadt Schali bahnte sich gestern nach der völligen Abriegelung durch russische Truppen ein Flüchtlingsdrama an. Die nach russischen Schätzungen rund 50.000 eingeschlossenen Menschen hätten kaum noch Trinkwasser, im örtlichen Krankenhaus gingen die Medikamente für die Behandlung der Verwundeten zur Neige, meldete die Nachrichtenagentur ITAR-TASS unter Berufung auf Augenzeugen. Es wurde ein russischer Sturmangriff befürchtet. Während der letzten Wochen waren Tausende Zivilisten aus dem umkämpften Wedeno- Bezirk in Südtschetschenien in die Stadt rund 45 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Grosny geflüchtet. Seit dem Morgen sei den Menschen der Fluchtweg versperrt. Nach Angaben russischen Militärs sollen sich bis zu 350 Rebellen in dem Ort verschanzt haben.

Über Schali kreisten gestern russische Militärhubschrauber. Vertreter der örtlichen Verwaltung bezeichneten die von den Russen genannte Zahl von 350 Separatisten als „offensichtlich überhöht“. In dem Ort hatten in der vergangenen Woche zahlreiche Menschen tagelang für einen sofortigen Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien demonstriert.

Der Vermittler zwischen Moskau und dem tschetschenischen Rebellenchef Dschochar Dudajew, Tatarstans Präsident Mintimer Schaimijew, äußerte Zweifel am Friedenswillen beider Seiten. „Die Kämpfe in Tschetschenien stellen die Bereitschaft der Konfliktparteien in Frage, den Krieg zu beenden“, sagte er Interfax.

„In einer solchen Situation ist es unmöglich, über Vermittlungsbemühungen zu sprechen. Im Donner der Kanonen werden sich die beteiligten Seiten wohl kaum verstehen können“, meinte Schaimijew. Es sei bereits ein Treffen mit Dudajew in Tschetschenien vereinbart gewesen. Dabei sollte auch über direkte Gespräche zwischen dem Rebellenführer und Jelzin geredet werden. Das Vorhaben habe aber wegen der heftigen Gefechte aufgegeben werden müssen. „Die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen ist die wichtigste Voraussetzung, damit ich meine Vermittleraufgaben erfüllen kann“, sagte Schaimijew.

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