„Politik macht Reiche reicher“

■ Magret Mönig-Raane, Vorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), zur morgigen Kanzlerrunde

taz: Glauben Sie noch daran, daß bis 2000 durch ein Bündnis für Arbeit zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden können?

Magret Mönig-Raane:Wenn in dieser Kanzlerrunde so weitergemacht wird wie bisher und es bezüglich der Schaffung neuer Arbeitsplätze weiter bei vagen Zusagen bleibt, dann glaube ich nicht mehr daran. Würden sich aber alle gesellschaftlichen Kräfte diesem Ziel wirklich ernsthaft verpflichten, bestünde eine realistische Chance, es doch noch zu schaffen.

Was muß geschehen, damit Sie Ihren Glauben an die Arbeitsplatzvermehrung nicht verlieren?

Als erstes müßte deutlich werden, welche wirtschafts-, arbeitsmarkt- und steuerpolitischen Initiativen noch in diesem Jahr gestartet werden sollen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Eine Steuerpolitik, die die Reichen zum Beispiel über eine Vermögenssteuersenkung noch reicher macht und den Arbeitslosen und Kranken Einkommen nimmt, wirkt nicht nur arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Eine solche Politik ist auch unter dem Gerechtigkeitsaspekt für uns unakzeptabel. Völlig ummöglich ist, daß die Bundesregierung in einer Zeit wachsender Arbeitslosigkeit den Zuschuß zur Bundesanstalt für Arbeit kürzen will, anstatt ihn anzuheben, um kreative Maßnahmen der Arbeitsförderung zu unterstützen.

Nun steht ja heute die Lohnfortzahlung auf der Tagesordnung. Detlef Hensche von den IG-Medien hat die Gewerkschaften davor gewarnt, in der Kanzlerunde „jede Schweinerei mitzutragen“. Ist die Neuregelung der Lohnfortzahlung eine „Schweinerei“?

Ohne Zweifel! Und ich erinnere daran, daß das Kanzlergespräch am 23. Januar im Ergebnis beinhaltete, daß die Lohnfortzahlung nicht angetastet wird und Änderungen allein Sache der Tarifvertragsparteien seien. Nie zugestimmt haben wir einer Politik, Menschen zu bestrafen, wenn sie krank werden.

Der bayrische DGB-Chef hält es für akzeptabel, daß die Überstunden bei der Lohnfortzahlung nicht mehr berücksichtigt werden müssen.

Hier wird etwas unglaublich aufgeblasen. Von der Menge her spielen die Überstunden bei der Bemessung des Einkommens im Krankheitsfall kaum eine Rolle. Das ist nicht das Schwarze unterm Fingernagel aus dem Blumenpott. Diese Diskussion dient nur einem Ziel, die Lohnfortzahlung mittels eines symbolischen Streits um die Überstundenberücksichtigung insgesamt zum Abschuß freizugeben.

Also nicht verhandelbar?

Das ist nicht verhandelbar, weil es sachlich Unfug ist. Politisch stößt bei mir diese Forderung auf Granit, weil damit der Boden dafür bereitet werden soll, sich von der Zahlung des Tariflohns im Krankheitsfall zu verabschieden.

Ist das Bündnis für Arbeit gestorben, wenn heute wieder konkrete Initiativen ausbleiben?

Nein, denn dieses Bündnis darf man nicht verwechseln mit dem Treffen am Kanzlertisch. Der Kanzlertisch könnte zwar vorbildliche Entscheidungen treffen und neue Initiativen auf den Weg bringen, aber wenn die ausbleiben, dann geb' ich doch deshalb nicht auf. Nein, ich werde an allen Stellen, wo das möglich ist, weiterkämpfen für ein Bündnis für Arbeit. Interview: Walter Jakobs