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Das Antlitz der Wüste

■ Der chinesische Maler Shan Fan im Kunstverein Lüneburg

Der 1959 in Hangzhou geborene Künstler Shan Fan lebt seit fast zwölf Jahren in Deutschland. Nach dem klassischen Studium der Kalligrafie in China studierte er in den 80er Jahren an der HfbK in Hamburg und versucht, ein malerisches Bildsystem zu entwickeln, das beiden Traditions-Erfahrungen gerecht wird, eine visuelle Brücke zu bauen zwischen den so grundsätzlich unterschiedlichen Kunstauffassungen Asiens und Europas. Er begann, eine Antwort auf die Frage zu suchen, wo für den Europäer an der chinesischen Kunst der Kitsch beginnt – und umgekehrt, wo Chinesen europäische Kunst als Kitsch empfinden.

Shan Fan wird dort fündig, wo die Zeichen und ihre Sinnlichkeit im Mittelpunkt stehen. Tapies und Hartung zeigen in ihrer Malerei jene Qualitäten von Materialbehandlung und Zeichen, die ihm aus der jahrtausendealten chinesischen Malerei nahe sind. Hier ist ein Element zu finden, aus dem sich eine Synthese entwickeln läßt – die Schrift als Bild, das fließende Ideogramm als Sprachbild und Bildsprache. Schon ein einziger schneller Strich verkörpert die Identität einer Person, so wie die eigene Signatur einen intimen Blick über die Schulter des Malers gewährt. Seit drei Jahren zieht sich Shan Fan nun schon regelmäßig in die Einsamkeit der Wüste Gobi zurück, um hier über seinen Weg zu meditieren. Er sucht nicht die Konfronta-tion oder die bildnerische Grenzüberschreitung um jeden Preis. Sein Ideal ist eine Balance zwischen alten wirkenden Kräften, wie es im Tao gelehrt wird.

In der Wüste Gobi erscheint ihm die nahezu unberührte Landschaft als ein „erster und letzter Ort der Schöpfung, als ein Rätsel“. Landschaft selbst ist hier Lebensform, die ihm wie ein Geschichten erzählendes Antlitz erscheint. Die Wüste als Ort, der mit seinen Sandbergen in Licht und Schatten den deutlichsten Widerspruch zur Künstlichkeit und Unbewohnbarkeit unserer Städte ist. Ruhe gegen Ruhelosigkeit, perspektivische Fernsicht gegen den verstellten Blick, Unmittelbarkeit des Empfindens gegen diplomatisches Gerede im Großstadt-Dschungel.

Shan Fan versucht nun, auf diese Landschaft aufmerksam zu machen, indem er sich eines Stilmittels der US-amerikanischen und europäischen Kunstgeschichte bemächtigt: der Pop Art, die mit ihren Seriegrafien und reduzierten Farbpaletten jedes Gefühl auf das einer Ware beschränkt. Die Wüste als Superzeichen in Farb-Seriegrafien in dünn aufgetragenem Öl zu behandeln heißt, eine visuelle Erwartungshaltung durchbrechen zu wollen. Eine dieser Art gebrochener Landschaftsmalerei knüpft wieder an das an, was europäische Landschafts-Maler einmal waren: Vorboten eines ökologischen Bewußtseins und Ausbrecher aus Hierarchien.

Shan Fan baut so eine Brücke zwischen dem chinesischen Erfassen des Lebensatems und dem europäischen Skeptizismus.

Gunnar F. Gerlach

Bis 28. April im Kunstverein Lüneburg (im Heinrich-Heine-Haus)

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