"Keine Extrawurst für Diepgen"

■ Nach der Ei-Attacke verschärfte die Justizsenatorin im Kriminalgericht Tiergarten die Kontrollen und will Regierungsmitgliedern Zeugenauftritte vor Gericht ersparen

Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD) ist im Begriff, ihre Beliebheit bei der Berliner Rechtsanwaltschaft aufs Spiel zu setzten. Nach der Ei-Attacke des Aktionspolitologen Dieter Kunzelmann auf den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen hat sie unlängst dafür gesorgt, daß die sogenannte Kontrollordnung des Amtsgerichts Tiergarten verschärft wurde. Seither können auch Rechtsanwälte und Justizbedienstete auf verbotene Gegenstände wie Wurfgeschosse durchsucht werden, wenn gegen sie ein Verdacht vorliegt.

Außerdem will Peschel-Gutzeit erreichen, daß Regierungsmitglieder künftig nicht mehr im Gericht als Zeugen vernommen werden, sondern in ihren Diensträumen. Dazu müßte allerdings die Strafprozeßordnung (StPO) geändert werden. Der §50, Abs. 2 StPO sieht vor, daß Regierungsmitglieder „an ihrem Amtssitz zu vernehmen“ seien. Laut Kommentar ist der Amtssitz in Stadtstaaten der Gerichtssitz. Hintergrund: Kunzelmann hatte den Auftritt von Diepgen als Zeuge vor Gericht im vergangenen Dezember dazu genutzt, diesem ein Ei auf dem Kopf zu zertrümmern. Danach hatte der Regierende Kunzelmanns Anwälte Ströbele und Ehrig bezichtigt, das Ei für ihren Mandanten ins Gericht geschleust zu haben. Obwohl es dafür keinerlei Beweise gibt, ordnete die Justizsenatorin Mitte März 1996 die Verschärfung der Kontrollordnung an. Ob sie schon angewendet worden ist, war Justizsprecherin Susanne Pfefferkorn gestern nicht bekannt.

Mit der neuerlichen Strafanzeige wegen Körperverletzung und Beleidigung gegen Kunzelmann ist der nächste Zeugenauftritt des Regierenden bereits vorprogrammiert. Doch Justizsenatorin Peschel-Gutzeit sann nach Wegen, um ihrem Chef aus der Bredouille zu helfen. In einem Brief schlug sie Diepgen Ende März vor, aus Sicherheitsgründen auf eine Zeugenvernehmung in seinem eigenen Dienstgebäude zu bestehen. „Ich meine, daß man versuchen sollte, die herrschende Meinung in Frage zu stellen“, legte ihm Peschel-Gutzeit die Rechtsauffassung im StPO-Kommentar dar. Eine Antwort von Diepgen steht noch aus.

Die Präsidenten und Vizepräsidenten der Berliner Anwaltskammer, Bernhard Dombek und Peter Danckert sowie Ulrike Zecher vom Vorstand der Vereinigung der Berliner Strafverteidiger, zeigten sich über die Vorstöße der Senatorin gestern äußerst befremdet. Mit der Einführung der Kontrollmaßnahmen zeige die Senatorin „zum ersten Mal“ in ihrer Amtzeit „eine erhebliche Unsensibilität“ gegenüber der Anwaltschaft, erklärte Dombek. Danckert fragte sich „bei allem Verständnis für den empörenden Vorfall“, ob Peschel-Gutzeit keine dringenderen Probleme zu bewältigen habe. „So einfach kann man die StPO nicht kippen“, erklärte Zecher. Kunzelmanns Anwalt Ehrig erklärte, auf eine Zeugenvernehmung von Diepgen vor Gericht zu bestehen. „Sonderbratwürste wollen wir nicht backen.“ Plutonia Plarre