Die Gerechtigkeit steht im Weg

■ Weibliche Selbstjustiz: Sally Field rächt in Auge um Auge von John Schlesinger den Tod der Tochter

Was tun, wenn in einer Notlage das Gesetz nicht weiterhilft, wenn Polizei und Justiz nicht nur keine Hilfe sind, sondern vielleicht sogar der Gerechtigkeit im Wege stehen? Filme von John Schlesinger handeln immer wieder davon. Aus der Not der Helden, handeln zu müssen und gegen das Unrecht in einem rechtsfreien Raum anzugehen, erwächst die Spannung von Filmen wie Der Marathon-Mann oder Fremde Schatten. Moralische Eindimensionalität muß sich hier auflösen, und dahinter kommt die Frage zum Vorschein, wie und von wem Recht und Unrecht definiert werden sollen. Was trennt den Helden von seinem Gegenspieler?

Auch Karen (Sally Field) fühlt sich vom Rechtsstaat allein gelassen. Der Vergewaltiger und Mörder ihrer ältesten Tochter wird trotz eindeutigster Beweise wegen eines Verfahrensfehlers in die Freiheit entlassen. Karen weiß, daß Doob (Kiefer Sutherland) wieder töten wird, doch als er es tatsächlich tut, kommt er einmal mehr straffrei davon.

Über eine Selbsthilfegruppe von Eltern, die ihre Kinder durch ein Verbrechen verloren haben, kommt Karen an eine Clique, die das Gesetz in die eigene Hand nimmt. Schließlich bedroht Doob auch noch Karens zweite Tochter, und so beschließt sie, Doob selbst zu erledigen.

Gegen alle Bedenken entscheidet sich eine Frau für die Selbstjustiz. Und weil es ein Film von John Schlesinger ist, werden die Grenzen zwischen Karen und Doob ein wenig verschwimmen, sich beide ähnlicher sehen. Am Ende wird Doob ihre Mütze tragen und Karen zum Killer werden – bezeichnenderweise wird auch sie ungestraft davonkommen.

So läßt sich Auge um Auge in mindestens zwei Richtungen verfolgen, die nicht so viel trennt als es den Anschein hat. Zum einen erscheint Schlesingers Film als eine ganz andere, der Reaktion Raum gebende Antwort auf die im Kino derzeit oft gestellte Frage nach der Todesstrafe. Zumindest für Karen, der wir den ganzen Film über folgen, ist sie die einzige Lösung, und Kiefer Sutherland als das ungebrochene Böse soll das Verständnis dafür erleichtern. Die Verzweiflung darf hier ihr Anwalt werden, der im selben Augenblick gegen alle ethischen oder politischen Einwände entschieden Einspruch erhebt.

Zugleich aber variiert Auge um Auge das zur Zeit ebenfalls präsente Thema einer weiblichen Hauptfigur, die sich mit männlicher, sexuell bestimmter Gewalt auseinandersetzen muß. Doch auch in diesem Punkt bleibt Schlesinger in einer vermeintlich defensiven, auf jeden Fall affirmativen Logik.

Auch hier wird in gleicher Münze zurückbezahlt – für Utopien, nicht einmal für Freiheit bleibt Platz. Zu einem großen Teil kann Schlesinger so nur mit der scheinbar unveränderlichen menschlichen Natur argumentieren. Sein Pessimismus begründet sich in einem Zirkelschluß selbst.

Jan Diestelmeyer

Aladin, Grindel, Hansa