: Ich drehe meinen eigenen Nachruf
■ Neu im Kino: “Neurosia – 50 Jahre pervers“ von Rosa von Praunheim
Was kann sich ein selbstherrlicher Exhibitionist mehr wünschen, als seinen eigenen Nachruf zu verfassen ? Genau dies tut Rosa von Praunheim in seinem neuen Film: Gleich in der ersten Sequenz wird er erschossen, und für den Rest des Films folgt die Kamera der Klatschreporterin Gesine Ganzmann-Seipel, die für den sensationsgeilen Privatsender „Hau TV“ das perverse Leben und Sterben von Rosa recherchiert.
Kurz bevor er in einem Kino scheinbar von Kugeln getroffen zusammenbricht, kann von Praunheim noch schnell das Grundprinzip seines Films formulieren: es wäre ihm immer vorgeworfen worden, er hätte seine Darsteller lächerlich gemacht, und die Intimitäten von anderen in der Öffentlichkeit ausgeplaudert. Diesmal würde er all dies mit sich selber machen. Von Praunheim hat „Neurosia“ offensichtlich als Reaktion auf die Kritik gedreht, die in den letzten Jahren nach seinen Outings von Prominenten und provokanten Thesen zur Aidspolitik immer härter wurde. Aber wenn man hier sieht, wie stolz er die übelsten Schlagzeilen der Boulevardpresse zitiert, und wie ausführlich er seine ehemaligen Freunde, Kollegen und Stars über sich herziehen läßt, wird man das Gefühl nicht los, von Praunheim genieße es am meisten, wenn er sich als jedermanns Fiesling zelebrieren kann.
So scheint er in dieser Selbstinszenierung nichts unter den Teppich zu kehren, sondern im Gegenteil alles, was ihn schlecht aussehen läßt, um so unschmeichelhafter und deutlicher zu zeigen. Sein dicker Bauch, sein verweintes Gesicht, seine verwackelten Frühwerke – uns bleibt nichts erspart.
Rosa von Praunheim bleibt hier seinem Stil des grandiosen Dilettantismus treu, und seine Geltungssucht wird nur durch seine Selbstironie halbwegs in Schach gehalten. Die Leiche selbst liest Auszüge aus ihren Tagebüchern, es gibt viele Ausschnitte aus ihren größten Erfolgen und zu allem Überfluß auch nocht eine hanebüchene Entführungsgeschichte.
Neben seiner Mutter läßt von Praunheim auch fast alle Stars aus seinen Filmen zu Worte kommen, und dabei wird ein Paradoxon immer deutlicher: am besten kann der demonstrativ schwule Regisseur Rosa von Praunheim mit Frauen arbeiten. Sei es die Tante Luzie aus der „Bettwurst“, Evelyn Künneke oder Lotti Huber: die wirklich interessanten und liebevoll in Szene gesetzten Filmfiguren in seinen Filmen sind immer weiblich gewesen. Und auch in diesem „Auto-Nekrolog“ läßt er sich die Show von Desiree Nick stehlen, die die penetrante Gesine Ganzman-Seipel so schrill und komisch spielt, daß man das Gefühl nicht los wird, von Praunheim baut mit ihr schon den Star für seine nächsten Filme auf. Denn natürlich wird er am Ende doch quick-lebendig aufgespürt und selbstverständlich ist auch dieses Finale so geschmacklos wie es der Filmtitel verspricht. Wilfried Hippen
Kino 46, Do. bis Sa. 20.30 Uhr und So. – Di. 18.30 Uhr
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