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Statt Einschaltquoten-Terror: Neue Musik

■ Radio Bremen setzt vom 1. bis 5. Mai mit der 19. „Pro Musica Nova“ auf Qualität

„Wir müssen ganz weit nach vorn gucken, wir brauchen Akzente im Sender, selbst wenn da nur drei Leute sitzen“, man glaubte seinen Ohren nicht zu trauen, als Programmdirektor Hermann Vinke zumindest für die Zeit der Pressekonferenz die fatale Einschaltquotenargumentation vergaß. Trendwende bei Radio Bremen? Nachdem im Dezember vergangenen Jahres Defizite von 18,5 Millionen prophezeit wurden, der Abteilungsleiter der E-Musik, Peter Schilbach, aus Protest gegen den Abbau der E-Musik zurücktrat, und letztlich die Klassikwelle zugunsten der Melodiewelle eingestellt wurde, erinnert man sich nun an den Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen? Die Redakteurin für Neue Musik, Marita Emigholz, präsentierte ein spannendes und interpretatorisch vielverprechendes Programm für das Festival „Pro Musica Nova“.

Neue Musik für drei Leute, das wird nicht nur hoffentlich, sondern mit Sicherheit nicht der Fall sein. Marita Emigholz hat das Programm vom ersten bis zum fünften Mai unter den Titel „Zwischen Konstruktion und Intuition...Komposition und Improvisation“ gestellt. Dabei hat sie dem Trend und dem Wunsch improvisierender MusikerInnen nach notierter Komposition Rechnung getragen: zum Beispiel wird die Performancekontrabassistin Joelle Léandre mit „Satiemental Journeys“ im Lichthaus eine Uraufführung vorstellen. Zum Beispiel wird Fred Frith, der aus der experimentellen Rockmusik kommt, u.a. die Uraufführung seines Streichtrios zu Gehör bringen, gespielt von keinen geringeren Interpreten als dem berühmten Arditti-Quartett.

Auch scheinbar traditionellere Programme wie das Konzert des ensemble avantgarde leipzig bietet mit Werken von Karlheinz Stockhausen, Witold Lutoslawski, Marton Feldman und John Cage Werke, in denen die frei improvisierende Aktion konzeptioneller Bestandteil ist. Ein reines Improvisationskonzert wird in einem Raumkonzept von Anne Schlöpke in der Galerie Katrin Rabus entstehen: Die Bremer Hainer Wörrmann und Uli Sobotta sind dabei. Überhaupt ist im ganzen Programm die Hereinnahme bremischer Kräfte zu beobachten, eine von Marita Emigholz bewußt durchgeführte Konzeption.

Und da passen dann auch zwei vollkommen unterschiedliche Bremer Komponisten hinein, von denen keiner in Verdacht steht, ausschließlich einem Lokalpatriotismus zu frönen. Zuerst ist da Hans Otte zu nennen, der 1959 die „Pro Musica Nova“ gegründet und schnell auf ein internationales Niveau gebracht hat: hier waren zuerst John Cage und Luigi Nono zu hören, hier konnte man sich über die Fluxus- und Happeningbewegung informieren, und hier konnte man vor allem auch etwas über andere Kulturen erfahren. Hans Otte, dessen siebzigster Geburtstag mit dieser umfassenden Ehrung auch gefeiert wird, spielt die Uraufführung seines „Stundenbuches“ für Klavier, und der Avantgardeorganist schlechthin, Gerd Zacher, wird Orgelwerke von Otte aufführen. Dazu hat Otte neue Klanginstallationen im Neuen Museum Weserburg erarbeitet.

Der andere Bremer Komponist ist Uwe Rasch, dessen Kammeroper „Korridor“nach Texten von Franz Kafka die vierte Uraufführung dieses ambitionierten Festivals ist. Raschs Besetzung – Körpertrommler, fünf Schlagzeuger und Tonband – macht besonders neugierig. Noch viel wäre zu nennen. Marita Emigholz weist mit der Konzeption ihrer ersten „Nova“ – der neunzehnten insgesamt – eine eigene Handschrift nach, die die InterpretInnen nun nur noch mit ihrer spielerischen Qualität in das klingende Ereignis verwandeln müssen: den Namen nach zu urteilen gibt es da wohl kaum ein Risiko. Fünf Tage lang könnte Bremen wieder – wie einstmals selbstverständlich – ein Mekka der Neuen Musik werden, ein anderes als die Hochburgen Witten, Donaueschingen und Köln: „Kopf frei für neue Entwicklungen“ meinte Hermann Vinke. Hoffentlich bleibt's dabei.

Ute Schalz-Laurenze

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