: James Dean in den Aufsichtsrat!
„Kapitalschulung“ im BE. Erste Sitzung: Dirk Baeckers „Postheroisches Management“ ■ Von Andreas Frank
Die Sonne brannte bereits ein Loch in den trägen Vormittag, als man sich im Foyer des Berliner Ensembles einfand. Das Casino war geschlossen, Getränke gab's nicht, nur trockene Wörter warteten in der Luft darauf, von der postmüllerschen Intendantencrew des BE ergriffen zu werden. Passend zur „Kapitalschulung“ döste ein großes Marxbild neben dem Podium. In ihrer Pressemitteilung hatten die Veranstalter versichert, der Titel der Reihe sei „nicht nur ironisch“ gemeint gewesen. Mit dem Ernst vielleicht, den Leute aufbringen, die sich nach zeitgemäß eleganteren Weltverständnismodellen „ganz ohne Scheuklappen“ umschauen wollen.
Die „Kapitalschulung 1.“, die „dem BE und seinem Publikum (anti)kapitalistisches Know-how“ liefern wollte, gab sich postmodern. Mit Dirk Baecker von der privaten Wirtschaftsuniversität Witten hatte man sich einen Soziologen modernerer Prägung eingeladen. Sein allerorten gefeiertes Buch „Postheroisches Management“ (Merve) lieferte das Stichwort: Managementphilosophie: Martin Wuttke las aus Tom Peters „Management in chaotischen Zeiten“, einem Bestseller aus dem Kalifornien der 80er Jahre und einer der Hauptquellen Baeckers.
Peters, „der amerikanische Managerguru“, ist ganz der amerikanische Missionar: „verrückte“ Ideen für frustrierte Unternehmer, denen er immer dann recht gibt, wenn sie an der Rationalität ihrer Unternehmen zu zweifeln beginnen. Kein Unternehmen, so die These, würde funktionieren, wenn es nur vernünftig wäre. „Mach' dir die Fehler zu eigen“, rät Peters, „lerne, sie zu suchen, liebe sie! Amen.“ Mit dem „Hohenlied der Fehlschläge“ von Peters ist kein Staat zu machen. „Zu Washington sage ich: Bitte helft uns nicht!“ Starker Tobak wahrscheinlich für den Chef eines Staatsunternehmens. Wohl auch darum las Martin Wuttke den amerikanischen „Managementguru“ mit jener zögernden Faszination, in der die modische Neugier mit dem protestantischen Kalkül ringt, das ihn zur Intendanz eines europäischen Theaters befähigt.
Anschließend sprach Dirk Baecker von dem „etwas seltsamen kalifornischen Ton“, in dessen Euphorie immer schon mehr gelungen sei, als möglich war. „Es sträuben sich einem“, so Baecker, „die Haare, weil man sich nicht mehr ganz sicher sein kann, wie lange man sich einem von Peters propagierten totalen Wirtschaftsliberalismus zu entziehen vermag.“ Baecker, wie alle Alt-68er ganz in Schwarz gekleidet, weiß jedoch, daß man von den Feinden lernen kann, um zu siegen, und sei es um den Preis, selbst zum „Feind“ zu werden. Er ist sich sicher – erstes Gekichere im Publikum –, „daß man in einer deutschen Garage nicht wie im fernen Kalifornien ein Unternehmen gründen kann, sondern eine ordentliche Gewerbefläche anzumieten hat“. Was aber zum berechtigten Gelächter über die Bürokratie gerät, entpuppt sich bald als latent zynische Unbekümmertheit einer Wirtschaftssoziologie und Managementphilosophie, die von der täglichen Arbeit und dem Kampf um sie vor lauter „symbolanalytischer Dienstleistung“ nichts mehr wissen will. Es überwiegt die Lust am Paradox: „Wie kann man mit marktwirtschaftlichen Mitteln die ruinösen Folgen der Anwendung marktwirtschaftlicher Mittel bekämpfen?“ fragte schon das BE in seiner Pressemitteilung. Auch Baeckers Paradoxe sind eher simpel. Im Gewand einer systemtheoretischen und kybernetischen „2. Ordnung“ benutzt er das Vokabular der „Kritik der politischen Ökonomie“ und hat keine Scheu, Marx zu zitieren. Das wird wohl das Neue sein an der Managementphilosophie dieser Jahre, und dazu paßt auch das Diktum, Marx gelte nur für das 19. Jahrhundert, während das 20. Jahrhundert es mit James Dean hält: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Was man aber nicht weiß, genießt man als Freiheit, indem umgekehrt die Scham abnimmt, die sozialen Errungenschaften abzuschaffen.
Was das alles mit dem Theater zu tun habe, fragte Baecker am Sonntag. – Berliner Ensemble goes Volksbühne, könnte man meinen, indem es deren barockes Konzept von einem Theatrum mundi und dessen durchaus positive Vergleichgültigung nachahmt: Alles ist irgendwie Theater.
Baeckers „Postheroisches Management“ könnte eine andere Antwort darauf sein, wenn es vom Management als Fortsetzung der Literatur mit anderen Mitteln spricht. Heiner Müller, dem das Buch letzten Herbst im Kreuzberger Antiquariat Kalligramm ans Herz gelegt wurde und der es als „ziemlich zynisch und ziemlich intelligent“ beschrieben hat, hat diese Provokation in Ironie verwandelt. Alexander Kluge hatte das ganz ernst genommen und bei seiner Totenrede das „Postheroische Management“ als letzte Empfehlung Müllers gepriesen. Das Berliner Ensemble orderte sogleich bei Kiepert und lud Baecker schließlich zur „Kapitalschulung“ ein. Am 16. Mai wird die Reihe mit einem Vortrag von Diedrich Diederichsen zum Thema Drogen, Techno und Sport fortgesetzt.
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