: Die rote Korsage
Wir wollen splitternde Masten, zerrissene Segel, strahlende weiße Hemden – „Die Piratenbraut“ ist eine Art „Die Hard – The Pirate Way“ ■ Von Lars Penning
Treffer, versenkt! Anstatt mit einer vollen Breitseite die Herzen des Publikums zu erobern, sank der Kahn mit Mann und Maus: Nach nur zwei Wochen verschwand „Die Piratenbraut“ mit dem mageren Einspielergebnis von zehn Millionen Dollar wieder aus den US-Kinos. Bei Produktionskosten von rund 120 Millionen Dollar nahm der größte Flop der Filmgeschichte seinen Lauf. Die Produktionsfirma Carolco strich bereits die Flagge, noch ehe der Film Ende letzten Jahres die amerikanischen Filmtheater erreichte. Europäische Kommentatoren konnten sich einer gewissen Häme nicht erwehren: Auf das spektakuläre Absaufen einer amerikanischen Special-effects-Orgie hatte man nach „Waterworld“ schon lange gewartet.
Dabei verantwortet der Film selbst letztlich den geringsten Teil des Desasters. Denn bereits die Produktionsgeschichte von „Die Piratenbraut“, wie sie Daniel Deffreys kürzlich in einem Artikel für den Independent nachgezeichnet hat, ähnelt einem Piratenstück: Carolco war eigentlich schon pleite, bevor man überhaupt einen Meter Zelluloid belichtet hatte. Finanziert wurde der Film größtenteils über den Vorverkauf an Verleihfirmen in Europa und Japan. Bei Carolco spielte man „doppelt oder nichts“ – entweder sofort Konkurs anmelden oder mit einem großen Kassenschlager die Firma doch noch retten. Und bekanntermaßen wurde es dann – nichts.
Eigentlich wäre es doch wieder einmal an der Zeit gewesen, eines der schönsten Filmgenres mit seinen Technicolor-Träumen vom ungezügelten Piratenleben in grandioser Landschaft und klassenloser Gesellschaft neu zu beleben. Immerhin sind Piratengeschichten im Kino etwa so alt wie das Medium selbst. Angesichts geringer Budgets und mangelhafter Tricktechnik konnten die Filmpiraten Anfang des Jahrhunderts noch nicht diese beeindruckenden Schlachten schlagen. Das änderte sich erst, als das Genre in den zwanziger Jahren mit aufwendigen Verfilmungen der Romane von Rafael Sabatini – „Captain Blood“ oder „The Sea Hawk“ – einem ersten Höhepunkt entgegensteuerte. Douglas Fairbanks „The Black Pirate“ wurde 1926 sogar schon in Zwei-Farben-Technicolor gedreht. Als Farbe im Film für das große Publikum noch echten „Schauwert“ hatte, stand der Piratenfilm in Hochblüte.
Aber dieser Tage scheinen Entern und Plündern aus der Mode gekommen. Sind die Filme, in denen der „Schwarze Schwan“ mit roten Segeln das Technicolor-Blau des Meeres durchpflügte, heute nur noch Camp?
Regisseur Renny Harlin hatte gar kein Imitat der klassischen Genrefilme im Sinn. Indem er sich („Die Hard 2“) treu blieb und eine Art „Die Hard – The Pirate Way“ inszenierte, schuf er ein neues Problem: Während in den Filmen der vierziger und fünfziger Jahre Degenduelle, Seeschlachten und Enterszenen sparsam eingesetzte Höhepunkte des dramatischen Geschehens waren, erschlägt in „Die Piratenbraut“ eine Actionszene die nächste. Im Kampf gegen Story und Charaktere bleibt die Pyrotechnik klarer Punktsieger.
Ein weiteres Problem des Films liegt bereits im Vorfeld begründet: Hauptdarstellerin Geena Davis, die ihrer Galerie von starken Persönlichkeiten nun das Porträt der Piratenkapitänin Morgan Adams hinzufügen wollte, ließ das Drehbuch permanent umschreiben. Ihre Rolle wurde immer größer, die männliche Hauptrolle verkümmerte langsam zur Bedeutungslosigkeit. Davis' regieführender Gatte übte sich in Familiensolidarität; Michael Douglas, der den Dieb, den sich die Piratin auf einem Sklavenmarkt ersteigert, spielen sollte, stieg aus dem Projekt aus. Anschließend wurde das Drehbuch herumgereicht wie Sauerbier, bis es bei Matthew Modine hängenblieb. Wenn man über Modine unbedingt etwas Positives vermerken wollte, könnte man sagen, daß er wenigstens nicht unangenehm auffällt. Genau genommen fällt er überhaupt nicht auf.
Doch in einem Genre, in dem die tollkühne Dreistigkeit eines Tyrone Power in „The Black Swan“ (1942), in dem Paul Henreids ironische Nonchalance in „The Spanish Main“ (1945) und das elegante Draufgängertum Errol Flynns, der 1935 mit „Captain Blood“ zum Star avancierte und fortan zum Inbegriff des „Herren der sieben Meere“ wurde, die Standards setzen, kommt dies geradezu einem Todesurteil gleich. Schon François Truffaut philosophierte seinerzeit am Beispiel Humphrey Bogarts über die Tatsache, daß sich manche Schauspieler für Kostümfilme einfach nicht eignen. Diese bittere Erfahrung dürfte nun wohl auch Geena Davis gemacht haben. Sie muß ihre Darstellung an einem Ausnahmefall des Genres messen lassen: In Jacques Tourneurs „Anne of the Indies“ (1951) verkörperte Jean Peters die einzig wahre Piratenkönigin des amerikanischen Films. Peters zeigte in ihrer Rolle als Anne Providence, was eine erfolgreiche Piratenkapitänin auszeichnet: Sie ist gefälligst unberechenbar und grausam, mit der Ausstrahlung einer ungezähmten Wildkatze. Vor allem besitzt sie den Mumm und die Härte, um ihre Männercrew anzuführen. Als Louis Jourdan sie bei ihrem ersten Zusammentreffen mit „Enchanté, Mademoiselle“ anspricht, bekommt er eine schallende Ohrfeige: „Mein Titel ist Captain.“ In dieser Rolle geht sie voll und ganz auf. Sie zeigt keinen Schmerz, kennt kein Mitleid und gibt sich zynisch: je mehr Tote im Gefecht, desto größer der Anteil der Lebenden. Da kann Geena Davis in Interviews noch so oft ihre Schrammen und blauen Flecken beschwören und beteuern, ihre Stunts alle selbst ausgeführt zu haben, diese Härte geht ihr ab: Wie verschwitzt sie im Film auch immer aussehen mag, letztlich erweckt sie doch nur den Eindruck, gerade ungeduscht aus einem Fitneßcenter zu kommen.
Das Ungleichgewicht der beiden Hauptrollen verhindert auch die Entwicklung eines eigentlich genrekonstituierenden Bestandteils: Piratenfilme müssen auch immer Liebesfilme sein. Die Liebe als handlungsmotivierendes Element wird in „Die Piratenbraut“ weitgehend durch die Suche nach einem legendären Schatz ersetzt. Doch der Topos des Schatzes stammt eher aus Filmen mit Piraten („Treasure Island“) als aus Piratenfilmen. Die Aufgabe des Piraten ist nicht das Buddeln im Sand, sondern das Schlagen von Seeschlachten, das Entern und Plündern.
Seeschlachten sind das Herzstück jedes Piratenfilms. In den klassischen Produktionen wurden sie mit kleinen Schiffsmodellen in Bassins ausgefochten. Da man in der Trickabteilung die Modelle Stück für Stück kaputtschießen konnte, fielen die Seeschlachten entsprechend eindrucksvoll aus. Es sind die Einstellungen von abknickenden Masten, splitterndem Holz und zerfetzten Segeln, die das Herz jedes Genreliebhabers höher schlagen lassen.
Auch „Die Piratenbraut“ kann mit einer Seeschlacht aufwarten: Renny Harlin ließ in einem riesigen Tank auf Malta Modelle in Originalgröße bauen, nur um die Seeschlacht dann auf die denkbar ödeste Weise zu inszenieren: Zwei Schiffe liegen im Abstand von wenigen Metern Seite an Seite und feuern aus allen Rohren. Das würde nicht nur jeden echten Käpt'n zu einem Tobsuchtsanfall verleitet haben (tatsächlich hätte man viel zuviel Angst gehabt, das Pulvermagazin des Gegners zu treffen und gleich mit in die Luft zu fliegen), es gibt auch filmisch einfach nichts her. Daß eines der Modelle bei den Dreharbeiten tatsächlich Feuer fing und der Crew drei Tage Zwangspause verordnete, was die Kosten nicht unbeträchtlich in die Höhe schnellen ließ, führte beim Rezensenten dann doch zu einer gewissen schadenfreudigen Anwandlung.
Zu Zeiten des Studiosystems hätte man in einen derartigen Film eine halbe Million Dollar investiert; Louis Hayward und Patricia Medina hätten die Hauptrollen gespielt, und man hätte sich unbeschwert in einer B-Picture-Doppelvorstellung amüsieren können. So aber erinnert „Die Piratenbraut“ an die Titanic: mit Arroganz in den Untergang.
„Die Piratenbraut“. Regie: Renny Harlin. Mit: Geena Davis, Matthew Modine. USA, 1996, 124 Min.
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