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Skrupulös und populär

■ Der Öffentlich-Rechtliche: Buten & Binnen Chef Michael Geyer über „Medien und Moral“

Mit „ach du lieber Gott“, Abwehr und Stoßgebet um Beistand, hatte der Chefredakteur Fernsehen von Radio Bremen, Michael Geyer, auf die Einladung des Katholischen Forums reagiert, über „Medien und Moral“ zu sprechen. Mit oder ohne Beistand, Geyer umging Geschwätzweisheiten zum „Thema ohne Verfallsdatum“ mit einem Bericht aus dem Alltag des politischen Redakteurs von „Buten und Binnen“. Als dezidierter „Öffentlich-Rechtlicher“ stellte er die Behauptung auf, „daß journalistische Skrupel einerseits und ein erfolgreiches populäres Programm andererseits sich nicht ausschließen müssen“.

Also die Skrupel. Wie wird man den Menschen gerecht, die sich am Abend auf dem Bildschirm wiederfinden, wie hält man die journalistischen Anstandregeln ein, “gewissenhaft, kritisch, unvoreingenommen und fair“ zu berichten. Mit der morgendlichen Selbstkritik in der Konferenz, fängt das an, sagt Geyer. Aber was macht man mit Rückmeldungen wie der Postkarte aus Delmenhorst: „Ihr bleibt und seid die Arschlöcher des deutschen Fernsehens, miese Miesmacher und die Schlausten dieser Welt. Wenn ich eine solche Lebenseinstellung hätte, würde ich mich aufhängen, eure doofen Weiber und Besserwisser ebenfalls.“

Geyer filtert aus dem Verdikt die Frage, wie man mit dem „Besserwissen“, d.h. mehr und früher Wissen umgeht: Wo ist die Grenze zwischen der (Lust an der) Indiskretion und dem öffentlichen Interesse“? Die Vulkankrise ist Geyers Beispiel einer erfolgreichen Gratwanderung: von den ersten Informationen über Schwierigkeiten, streng vertraulich selbstverständlich, den Hinweisen auf Rettungszenarien, die nicht durch voreilige Veröffentlichung gefährdet werden dürfen bis zu den wochenlangen Skrupeln in der Redaktion, ob man das Wort „Konkurs“ in die Berichterstattung einführen dürfe. “Wir haben, obwohl das Dramatische nicht mehr auszuschließen war, nicht dramatisiert. Andere Medien sind in ähnlichen Situationen weniger zimperlich. Nach dem Prinzip der verbrannten Erde wird jeder potentielle Knaller rasch zum Aufmacher, eine Strategie der Auflagensicherung.“ Das Publikum, bremisch wohlwollend, fragte nicht nach, ob er den Weser-Kurier meinte.

Ein zweites Beispiel: Der Fall Pflugradt, in dem der WK, von einem bestimmten Zeitpunkt an,“all the news that fit to print“ eben druckte. Problematisch, aber zu rechtfertigen, fand Geyer.

Nach dem Plädoyer für den praktisch angewandten Skrupel, der allein in überschaubarer Region auf Dauer Seriosität und Erfolg garantiert, kommt die Schlußpolemik mit Plädoyer für die Verteidigung des „Öffentlich-Rechtlichen“, inclusive Gebühren. Also Widerstand gegen Werbestrategen als Programmbestimmende, gegen „Turbo-Nachrichten“ und die Zuspitzung aller Tatbestände, die keine Unkorrektheiten mehr kennt, sondern nur noch Skandale.

Am Ende stand ein kleiner Mann aus dem Publikum auf. Er hatte sich auf einen Zettel geschrieben: vor 15 Jahren wurde “festgestellt“, heute wird „vorgeworfen“, was früher „Diskussion“ hieß, ist heute „Schlagabtausch“. Und da, zum ersten Mal, fand Michael Geyer, der Gerechte, ein Stück Schuld bei sich selber: Buten und Binnens Übersetzung der dpa ins Umgangsdeutsche, nach der Menschen immer „sauer“ waren, und Betriebe „plattgemacht“, habe neue und nicht bessere Stereotypen geschaffen.

Uta Stolle

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