: Wiegeschritt, gezeichnet
Rauchzarte Pinselstriche und dynamische Kohlelinien. Eine kleine Ausstellung erinnert an den Modezeichner Michael Meyring. Die Karriere eines Autodidakten ■ Von Petra Brändle
Selbstbewußt entfernt sich in diesen Zeiten die fashionable und trendy Modephotographie von der Abbildung. Frech verwischt sie Glanz und Gloria der Haute Couture. Grobkörnige, bis zur Unkenntlichkeit manipulierte Photos – sie lassen höchstens eine Zeitgeistatmosphäre erahnen. In diesen Bildern transportiert sich die Philosophie des Understatements und „Versteckens“: Ätsch, wir zeigen euch nichts mehr. Oder: Decodiert doch selbst, worum es uns geht. Mithin vollzieht die Modephotographie die Abkehr von ihrem ursprünglich „realistischen“ Abbildungscharakter – und läßt die Modezeichnung als Genre in neuem Licht erscheinen. Sie ist plötzlich in Zeiten der MTV- Ästhetik – o wunderbar „verkehrte“ Welt – die „realistischere“ Darstellungsform.
Dies zeigt sich eindringlich in einer kleinen Ausstellung des Berliner Stadtmuseums, die dem Modezeichner Michael Meyring gewidmet ist. Hier in Berlin nahm das modische Schaffen des 1929 geborenen Dresdners seinen Auftakt. 1945 war der Sohn eines griechischen Geschäftsmannes jüdischer Abstammung mit seiner Mutter nach Bremen gezogen, wo er den Förderer seiner zeichnerischen Begabung fand: Fritz von Eckhardt, Chefredakteur des Weserkuriers, stellte den jungen Meyring als Moderedakteur in seiner Zeitung ein. Mit dem modischen Boom Berlins zog der Autodidakt an die Spree. Hier schnupperte er ins Theater- und Filmbusineß, war Assistent bei Fellinis „Dolce Vita“, doch der Durchbruch als Modezeichner und -journalist entschied seine schöpferische Zukunft.
Seit Ende der 50er Jahre beobachtete er als Zeichner und Journalist das internationale Modegeschehen, arbeitete für die Fachzeitschrift Textilreport, bald auch für die amerikanische Tageszeitung Womens Wear Daily, für Madame, Harpers Bazaar, Sunday Times, Harpers & Queen, l'officiel, l'espresso und auch für Petra. Außerdem analysierte er, als er längst in New York lebte, jahrzehntelang das Modegeschehen für den Tagesspiegel und die Welt, und organisierte obendrein bis in die 70er Jahre aufwendige Modeschauen für das KaDeWe und die Interchic. Nicht nur beruflich interessiert, sondern auch engagiert verfolgte er den Aufstieg von Yves Saint Laurent, Valentino und Versace, fand Freunde in der Modesociety, und zog doch im Alter – durch drei Schlaganfälle arbeitsunfähig – zurück nach Deutschland.
Die Ausstellung zeigt nun einen Modezeichner mit seinem Talent, Stoffe fast von haptischer Lebendigkeit zu Papier zu bringen. Feinste Striche und ein Aquarellhauch Rosa zaubern das blumige Chiffonmodell von Valentino hin, ebenso zart erscheint das fast durchsichtige Calvin-Klein-Modell, das die ebenso rauchzarte Kate Moss vorführte. Kontrastierend dazu die Versace-Kreation der Endachtziger: Brachiale Asymmetrie und schwere Stoffe werden streng, mit kräftigem Strich präsentiert. Das zeitgemäße Faible für Brüche und Fragmentierung übernimmt Meyring in seiner Zeichnung: Ein Arm wird „angeschnitten“ und „versetzt“, ähnliche Perspektivenverlagerungen finden sich im Hintergrund. Stets gestaltet Meyring seine Zeichnung als Einheit: Der Hintergrund kontrastiert, kommentiert oder ergänzt die Couture-Mode. Yves Saint Laurents berühmtes Mondrian-Kleid beispielsweise steht vor einem Mondrian-Hintergrund – ein rundes Ensemble. Flüchtige Kohle- oder Bleistiftzeichnungen erhalten ihre Lebendigkeit aus penibelst genauer Stoffdarstellung. Mit simplen Mitteln bannt der Zeichner den typischen Wiegeschritt des Laufstegs – ein dynamischer Strich von Wange bis Ferse gibt dem Bild Schwung. Dabei sind Meyring die Mannequins oft ebenso wichtig wie die Kleidung. Iman beispielsweise muß er geliebt haben. Fast nebensächlich erscheint das weiße Versace-Kleid angesichts der plastisch-anmutig gezeichneten Beine und des samtigen Teints, den er dem Topmodel verleiht.
Die Exponate, die sein Schaffen über 30 Jahre hinweg dokumentieren, zeigen jedoch (bei allem Zeitgeist, der der Mode und den Zeichnungen imanent ist), daß Meyring weitaus weniger modisch arbeitete als beispielsweise sein Kollege Antonio (vgl. taz, 28. 1. 95). Sie offenbaren auch, soweit dies an den wenigen Zeichnungen abzulesen ist, daß Meyring weniger impulsiv und künstlerisch-kreativ mit seinen Vorgaben umging als der temperamentvolle Szene-Guru.
Ausstellung: „Michael Meyring. Internationale Modezeichnungen“. Ephraim-Palais (3. OG), Stadtmuseum Berlin, 2. Mai bis 7. Juli 1996
Zeichnung: Michael Meyring
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