Harte Projekte und sanfte Töne

Kuba investiert in die touristische Zukunft. Eine neue Straße durchs Meer verbindet vier kleine Inseln. Und die Unesco paßt auf, daß die ökologische Unschuld nicht ganz verlorengeht  ■ Von Ralph Ohm

„Geschafft: Schon sind die Cayos vereinigt!“ Unübersehbar, da in riesigen bunten Lettern auf einem etwa zehn Quadratmeter großem Schild verewigt, wird das Ende der Straße angekündigt. Einer Straße auf dem Meer, die vier kleine Inseln (Cayos) vor der kubanischen Nordküste, etwa 400 Kilometer östlich der Hauptstadt Havanna, miteinander verbindet. Den Stolz, der in den Worten dieser Botschaft der Bezirksverwaltung Villa Clara mitschwingt, kann man verstehen. Schließlich ist es in Zeiten der „Periodo especial“, wie die nun schon seit fünf Jahren währende schlimmste Wirtschaftskrise von Staatspräsident Fidel Castro getauft wurde, schon eine bemerkenswerte Leistung: Innerhalb von nur vier Jahren wurde so viel Steinmasse aus einem nahe gelegenen Steinbruch aufgeschüttet und planiert, daß daraus eine 48 Kilometer lange, noch etwas holprige, aber durchaus befahrbare Straße entstand. Diese soll später einmal die Lebensader eines der wohl reizvollsten kubanischen Urlaubsziele werden.

Sich das vorzustellen, fällt nicht schwer. Schon zu Beginn der Fahrt, als wir per Auto den Küstenort Caibarien und damit auch das Festland verlassen, bietet sich uns ein herrlicher Blick aufs Meer. Die asphaltierte Route schlängelt sich auf dem Wasser zu den in der Ferne ruhenden Cayos. Mit Tempo 50 übers Meer – dieses Vergnügen haben wir fast allein, denn „Unbefugten“ ist der Besuch noch strengstens untersagt. Die Geschäftigkeit beim Bau der Straße ist wieder der natürlichen Ruhe von einst gewichen, nur einige Kräne, Bagger und Lastwagen sind übriggeblieben. Sie werden noch für den Bau von Brücken gebraucht.

„Ursprünglich hatten wir mal an ein Viadukt gedacht, um die kleinen Inseln mit dem Festland zu verbinden“, sagt Eduardo González Camero Márquez, Vizeplanungsdirektor der Provinz. Der 53jährige, vorher für Industrieansiedlung, Straßenbau und die Versorgung mit Krankenhäusern zuständig, hat sich mittlerweile ganz der touristischen Erschließung seiner Provinz gewidmet. Ihm und einer Sondergenehmigung verdanken wir auch diesen Solotrip zu einem „seiner“ zentralen Projekte.

Die chronische Finanz- und Ressourcenknappheit ließ dieses gigantische, von ihm favorisierte Viadukt nicht zu. Also wurde eine, je nach Meerestiefe, bis sechs Meter hohe und etwa 40 Meter breite Straße gebaut. Sie schneidet diesen Flecken unberührte Natur in zwei Teile. 47 Brücken – die mit 300 Metern längste erreichen wir nach zehn Kilometern – sollen für den nötigen Wasseraustausch sorgen. Der ist natürlich trotzdem eingeschränkt. Die Folgen für Fische und Fauna versuchen gerade mehrere Umweltstationen zu ermitteln. „Doch“, so bekennt Señor Márquez, „Erfahrungen in einem solchen Bereich haben wir noch nicht“.

Kein Wunder, sind doch von den weit über 400 Inselchen entlang der 465 Kilometer langen Nordküste zwischen Varadero und der Grenze zur Provinz Las Tunas erst zwei touristisch erschlossen (Cayo Coco und Cayo Guillermo). Und die werden per Flugzeug versorgt. Für die vier Cayos nahe Caibarien kam das nicht in Frage. „Eine Straße ist einfach wirtschaftlicher“, erklärt unser Gastgeber. Zum einen verfügen die kleinen Inseln über kein eigenes Trinkwasser – es mußte also eine Transportmöglichkeit vom Festland geschaffen werden. Zum anderen sollen in naher Zukunft etwa 14.000 Touristen – so eine vorsichtige Schätzung auf Grundlage der Aufnahmekapazität der Cayos – dieses Urlaubsmekka bevölkern. Deren Anreise wäre dann kein Problem mehr. Die nahe gelegene Provinzhauptstadt Santa Clara verfügt über einen Flugplatz. Mit Bussen könnten die ausländischen Gäste über die Meeresstraße zu den geplanten 13 Hotelanlagen gefahren werden.

Zwei dieser Anlagen liegen auf dem Cayo Las Bruchas. Wir passieren die Insel nach 25 Kilometern. An der Abzweigung zum Cayo Francés beträgt die Wassertiefe nur weniger als einen Meter, die Landschaft seitlich der Straße ist sumpfig. Señor Márquez hebt den Fischreichtum dieses Gebietes hervor. Ein Pelikan hat sich offenbar schon an die sich anbahnende Zivlisation gewöhnt. Er sonnt sich auf einem Brückengeländer und wird erst durch unseren Wagen aufgeschreckt. Eine malerische Bucht zur Rechten identifiziert der Planungschef als „Base nautica“. Und das bedeutet: Hier wird noch ein Wassersportzentrum für Segler, Surfer und Taucher entstehen.

Auf dem Cayo Ensenachos, wo sich einmal 700 Touristen tummeln sollen, verwehrt uns der Mangrovenwald den Blick auf die „wohl besten Strände Kubas“ (Márquez). Mangroven bedecken die Inseln noch zu zwei Dritteln. Zehn Kilometer vor dem Ende der Straße haben wir den den Cayo Santa Maria erreicht. Wir biegen in einen Waldweg ein und lassen erst einmal einen Iguana, ein etwa 50 Zentimter langes, hier weit verbreitetes Reptil passieren. Fünf Minuten später, nach ruhiger Fahrt im Schrittempo, erschließt sich uns tatsächlich das angekündigte Paradies: einer der zwölf atemberaubenden Strände, 800 Meter lang und eingerahmt von Palmen und Dünen. Und gesäumt vom Meer, dessen grünlicher Schimmer sich nach zarter farblicher Abstufung in der Ferne mit dem strahlend blauen Himmel vereint.

Keinerlei Steine auf dem weichen Meeresboden trüben das Badevergnügen, eine atemberaubende Fischpracht steigert es statt dessen ins Unermeßliche. Selbst die Moskitos haben sich verzogen, die uns in Waldnähe einen unerfreulichen Empfang bereiteten und uns klar machten, was wir in diesem karibischen Ökotop sind: Eindringlinge und Störenfriede.

„In dieser Bucht sollen mal 300 Zimmer für 600 eher betuchte Gäste entstehen“, beschreibt Señor Márquez den aktuellen Stand der Planung. Insgesamt sind an den zehn Kilometer langen Stränden von Cayo Santa Maria Unterkünfte für über 10.000 Urlauber vorgesehen. In 100 Meter Entfernung von den Dünen und höchstens zweistöckig, so lauten einige der Auflagen zum Schutz der Cayos, die verhindern sollen, daß die wirtschaftliche Notlage Kubas zum ökologischen Ausverkauf seiner natürlichen Schätze führt. Eine maximale Nutzung der Sonnenenergie und des Regenwassers (zur Reinigung und zum Bewässern), eine weitgehend natürliche Klimatisierung der Räume, möglichst geringer Landverbrauch sowie eine Architektur, die in die natürliche Umgebung integriert ist, sind weitere Maßnahmen, die die Erschließung der Inseln mit dem Umweltschutz in Einklang bringen soll. Dem hat sich mit einer eigenen Organisation auch die Unesco verschrieben.

Noch stehen sie allerdings nicht Schlange, die ausländischen Investoren, die die Provinz Villa Clara für ihr „sanftes“ Tourismusprojekt zu gewinnen hofft. „Potentielle Interessenten warten wahrscheinlich erst mal ab, bis die Infrastruktur steht“, erklärt der Vizeplanungsdirektor die Zurückhaltung. Der hofft der Staat mit einer Stärkung der Rechte ausländischer Investoren entgegenzuwirken, denen neben einer Mehrheitsbeteiligung an den (Tourismus-)Unternehmen nun sogar Grund- und Immobilienbesitz sowie ein ungehinderter Gewinntransfer winkt.

Eine Art Gnadenfrist für Natur und die Fischer aus Caibarien, die ungestört im seichten Wasser stehend in der Bucht ihre Netze auswerfen. Die Kehrseite der Tourismusmedaille, auf die die Karibikinsel aus Mangel an anderen Devisenquellen setzt, kennt auch der, in dessen Händen die Erschließung der Inseln liegt. „Natürlich wird sich hier, wenn erst mal alles erschlossen ist, einiges ändern, doch das geht wohl nicht anders“, sagt der Kubaner mit einem Anflug von Traurigkeit. Denn er weiß, daß die vier Cayos mit der Vereinigung ihre ökologische Unschuld verloren haben.