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„Mehr als Erster kamma net sein“

■ Die Wachstumsgrenzen sind erreicht: Der Marktführer RTL lud zur Bilanzpressekonferenz – und ließ großkopfert die Zahlen für sich sprechen

Ach, was war das doch früher noch schön! Da konnte man sich bei RTL-Bilanzpressekonferenzen doch immer darauf verlassen, daß Senderchef Helmut Thoma vor dem Buffet ein paar markige Sprüche wider die führende Konkurrenz von ARD und ZDF und Leo Kirch absondern würde. Dazu wurde neben gigantischen Wachstumsraten regelmäßig kühne Zahlenakrobatik gereicht, wonach der Sender z.B. in der Zielgruppe der dreizehneinhalb- bis vierzehnjährigen rothaarigen Heteros katholischen Glaubens auf dem Unterhaltungssektor inzwischen die Marktführerschaft übernommem hatte. Oder so ähnlich. War immer lustig und eine Reise wert.

Doch seit RTL vor knapp vier Jahren die Marktführerschaft im deutschen Flimmerwald übernommen hat, ist es mit dem Unterhaltungswert dieser Veranstaltungen vorbei. Und so thronte Helmut Thoma auch am Donnerstag in Köln wieder einmal wie ein saturierter Buddha über der Journalistenmeute und verkündete, was ohnehin jeder wußte: „Mir san Marktführer, und mehr als Erster kamma net sein.“ Für den Umstand, daß der Nettogewinn der Firma 1995 von 108,3 auf 102,6 Millionen leicht sank, gab's auch nur ein fast gleichgültiges Schulterzucken: mehr Konkurrenz, die Wachstumsgrenzen sind erreicht.

Lag da letztes Jahr immerhin noch eine gewisse Spannung im Raum, weil die RTL-Wachstumsraten erstmals unter die Zehn-Prozent-Marke gesackt waren und obendrein unklar war, was die aufwendige Sat.1-Offensive bringen würde, war diesmal wieder alles eitel Sonnenschein. Durchschnittlich 17,6 Prozent Marktanteil 1995 sprechen für sich, wenn die Verfolger von ARD, ZDF und Sat.1 irgendwo bei etwas mehr als 14 Prozent herumdümpeln. Und wenn es um den begehrten Haufen der 14- bis 49jährigen Konsumenten geht, schaut die RTL-Bilanz (20,1 Prozent) noch rosiger aus. Angesichts solcher Werte kann man die Zahlenakrobatik inzwischen getrost der Konkurrenz überlassen. Lediglich RTL-Infochef Mahr ließ dann noch mal den Scherz raus, daß der Sender inzwischen auch auf dem Nachrichtensektor die Nummer eins sei. (Bei RTL läuft auch „Explosiv“ unter Information.) Aber immerhin sitzt „RTL aktuell“ (MA im 1. Quartal 96: 21,8 Prozent) „heute“ (23,7 Prozent) und „Tagesschau“ (23,4 Prozent) inzwischen ziemlich dicht im Nacken.

Schließlich erzählte Programmdirektor Marc Conrad noch was davon, daß „Bärbel bei den Audiance-Participation-Shows auf Anhieb ähnliche Werte (hatte) wie Ilona und Hans“ und daß es bei RTL auch künftig viele schöne bunte Bilder geben werde. Sicher, die Fußball-EM und Oylmpia bei der Konkurrenz würden im Sommer ein paar Prozente kosten. Und Boxen und Formel 1 bei RTL seien noch immer nicht refinanzierbar, aber eine prima Sache. Wie eigentlich alles andere auch bei RTL.

Und dann war da zum Glück noch der Kollege von der Heilbronner Kreiszeitung, der schwerst hintersinnig-kritisch nach der Relation von wirtschaftlichem Erfolg und Programmqualität fragte. Da mußte selbst Thoma doch noch mal glucksen. War ja auch zu komisch. Fragt etwa irgendwer bei einer Henkel-Bilanz-PK, ob Persil denn nun auch wirklich weißer wäscht? Reinhard Lüke

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