: Therapeut mit Reformideen
■ Der neue Chef des Landesarbeitsamtes, Klaus Clausnitzer, begann seine Karriere als Psychologe. Sein Motto: Viel Dienstleistung für die „Kunden“, wenig Verwaltung
„Junge, die Welt ist groß“, rät Klaus Clausnitzer seinem Sohn, wenn der sich mal wieder vergeblich um eine Stelle beworben hat. Clausnitzers Filius, gerade den „Arzt im Praktikum“ in der Tasche, bewirbt sich nun in den USA. Und der Mann mit der jahrhundertealten Väterweisheit von den Chancen in der Fremde sollte wissen, wovon er spricht: Der 57jährige Clausnitzer steht, wenn man so will, dem größten „Arbeitgeber“ der Region vor: 438.677 Menschen betreut der Präsident des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg. Vergangene Woche wurde der Hamburger in sein neues Amt eingeführt.
Der Mann mit den tiefen Falten im Gesicht kennt den Laden. Seit 1969 ist er bei der Bundesanstalt für Arbeit tätig. Im fränkischen Tauberbischofsheim begann Clausnitzer als Psychologe. Im Arbeitsamt half er den Betroffenen, „Klarheit über ihre berufliche Situation zu gewinnen“. Statistisch betrachtet, hatte Clausnitzer damals so gut wie nichts zu tun. In den 60er Jahren lag die Arbeitslosenquote auf einem historischen Tiefstand. 0,7 Prozent waren damals ohne Job, 192.000 Menschen im Westen der Republik. Heute sind es allein in der Region Berlin- Brandenburg mehr als doppelt so viele.
Damit mag sich der Arbeitsamtschef aus der Wirtschaftswunderzeit nicht recht abfinden. „Massenarbeitslosigkeit ist nur eine vorübergehende Erscheinung“, sagt Clausnitzer ernsthaft, und sein schwerer Schreibtisch in der Friedrichstraße 34 beginnt zu wackeln, um schnell die neueste Arbeitslosenstatistik abzuwerfen: 16,1 Prozent! Jeder sechste ohne bezahlte Arbeit.
Die Laufbahn des Psychologen Clausnitzer nahm gleich nach dem Diplom eine ungewöhnliche Wendung. In Freiburg im Breisgau bewarb er sich in einer Klinik, um das „therapeutische Geschäft“ aufzunehmen. Das Gewerbe verlangte jedoch, „sich unendlich weiterzuqualifizieren“, blickt er zurück. Also ging Klaus Clausnitzer zur Bundesanstalt. Und doch ist er Therapeut geworden, Beschäftigungstherapeut für das Ersatzheer der Joblosen. Sie stehen auf seiner Gehaltsliste – mit der Auflage, keinesfalls arbeiten zu dürfen.
Gerade beschließt der Bundestag, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland auf Westniveau zu drücken. „Ich habe das seit einem Jahr erwartet, daß das angeglichen wird“, analysiert Präsident Clausnitzer, dem die kümmerlich ausgestattete Werkzeugkiste für sogenannte „aktive Arbeitsmarktpolitik“ geplündert wird. Seine Reaktion: „Ich kann nur sehen, was die Politik beschließt, und muß das umsetzen.“
In Nürnberg und seiner ersten Heimat im hohen Norden war Clausnitzer ein hohes Tier in der Bundesanstalt: Leiter des Arbeitsamtes Hamburg, Chef der Arbeitsmarktpolitik, der Vermittlung und Beratung in der Nürnberger Zentrale. Von dort eilt ihm ein guter Ruf voraus. Clausnitzer gilt als Verwaltungsreformer, der ganz stark auf die „Kundenorientierung“ seiner Behörde setzt. In der Heimatstadt an der Alster half er, die Arbeitsämter im Kiez zu stärken. „Wir müssen dort schneller reagieren können“, sagt er selbst.
Furore machte Clausnitzer in der Hansestadt mit offensiver Öffentlichkeitsarbeit. Für kunstmalende Arbeitslosenprojekte verwandelte er das Arbeitsamt in eine Ausstellungshalle. Ein anderes Mal spazierten Models durch die grauen Gänge der Hoffnungslosigkeit. Sie führten die Kreationen eines Qualifizierungsprojektes vor. Plötzlich war das Arbeitsamt in aller Munde.
In Berlin will Klaus Clausnitzer seine Reformlinien weiterverfolgen. Der Psychologe, der sich mühsam „in Verwaltungsdinge einarbeiten mußte“, will seinen Mitarbeitern dies möglichst ersparen. „Viel Dienstleistung, wenig Verwaltung“ lautet sein Motto. Die Arbeitsämter sollen aktiver werden, sagt er, das Berufsinformationszentrum seine Öffnungszeiten erweitern. Der neue Präsident bringt zudem ein computergestütztes Arbeitgeberinformationssystem mit in die Friedrichstraße. Der elektronischen Vernetzung wird das Knüpfen persönlicher Kontakte folgen: Die Arbeitsvermittler sollen raus aus ihren Amtsstuben und regionale Firmen direkt ansprechen.
Doch solche ungewöhnliche Maßnahmen, mit denen Clausnitzer noch in Hamburg Aufsehen erregte, will er in Berlin nicht wiederholen. „Ich glaube, es ist nicht unser Job, die Stimmung noch anzuheizen“, meint er und weist auf die „schreckliche Situation“ hin, daß über vier Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeit sind.
Arbeit sei „ganz wichtig für das Individuum“, stellt der Psychologe auf das entsprechende Stichwort fest: „Der Mensch braucht offenbar Arbeit als individuelle Erfahrung. Wenn man keine Arbeit hat, geht das bis zum Krankwerden.“ Christian Füller
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