■ Nebensachen aus Madrid: Augen zu und durchs Madrider Verkehrsgewühl
„Für unbesonnenes Verkehrsverhalten bezahlst nicht nur Du!“ lautet das Motto der neuen Kampagne der spanischen Verkehrswacht. In Spots kommen Freunde und Angehörige von tödlich Verunglückten zu Wort. Gedacht sind die Clips als Abschreckung vor Raserei und gefährlichen Überholmanövern. Und das scheint nötig: Laut dem letzten Jahresbericht der Verkehrswacht starben bei 78.474 Unfällen 6.615 Menschen.
Die spanischen Spezialisten warnen besonders vor Alkohol. Dabei haben sie die Nachmittagszeit zwischen 16 und 18 Uhr im Blick. Der Wein zum Essen und vor allem der Cognac danach führen zu Geschwindigkeitsüberschreitungen und gefährlichen Überholmanövern und sind für jeden achten Verkehrsunfall verantwortlich. 80 Prozent der Verkehrstoten sind die Folge solcher Unfälle. Jeder zweite davon verunglückt auf gerader Strecke. Viele verschätzen sich in Sachen Straßenzustand. Denn Spaniens Landstraßen können üble Überraschungen bereithalten wie Schlaglöcher oder fehlende Beschilderung. Wo diese vorhanden ist, bietet sie nicht die Garantie, daß der Fahrer rechtzeitig gewarnt wird. Dies belegt ein Abschnitt einer Straße bei Granada. Auf den 20 Kilometern zwischen den Orten Bailen und Motril verstarben in den letzten sieben Jahren bei 240 Unfällen 60 Menschen, 417 wurden teils schwer verletzt. Bauliche Mängel sind schuld. So werden Überholverbote und Geschwindigkeitsbeschränkungen vor Kurven aufgehoben, falsch gemischter Asphalt verwandelt sich bei Feuchtigkeit in eine Rutschbahn. Als sich trotz Beschwerden nichts änderte, eröffnete der ortsansässige Richter gegen die Bauherren ein Verfahren. Er hatte „die Schnauze voll, Leichen einzusammeln und Verletzte wegzukarren“.
Auch wenn in der vergangenen Karwoche wieder 101 Menschen auf Spaniens Straßen ihr Leben ließen, bei einigen Autofahrern wirkt die Kampagne. Oder die Polizei hilft ein wenig nach. Erst unlängst ging den Beamten ein Sünder ins Netz. Sein Fahrzeug wurde beschlagnahmt. Und das obwohl er sechs Jahre unfallfreies Fahren vorweisen kann. Gesundheitliche Gründe bewegten die Beamten zu solch unerbittlichem Verhalten gegen Jesús Pinto Luna. Der 29jährige sieht auf dem einen Auge gar nichts und hat auf dem anderen gerade 10 Prozent. Als seine Kollegen bei der Blindenselbsthilfe ONCE mitbekamen, daß er täglich die 12 Kilometer zur Arbeit im eigenen Wagen zurücklegte, zeigten sie ihn an.
Jesús hatte seinen Ford blindengerecht umrüsten lassen. Mit drei großen Knöpfen am Armaturenbrett konnte er den Motor an- und abstellen. Im Madrider Verkehrsgewühl orientierte er sich „nach Licht und Schatten“. Sein Erfolgsgeheimnis: „Immer langsam und mit viel Besonnenheit“. Es nutzte nichts. Statt einer Medaille für vorbildliches Verkehrsverhalten erwartet Jesús Pinto Luna ein Verfahren. Zudem muß er wohl auf Bus oder Bahn umsteigen. Reiner Wandler
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