: Schwankendes Schiff Vergnügen
■ Hans Hollmann inszeniert „Die Fledermaus“ als maritimen Tanz auf stürmischer See
Der Weg zum Fest ist lang und steil, und der Abgrund ist tief. Auf einer Art schmaler Reling steht eine Traube schräger Vögel in schrillen Kostümen und juchzt, als die Mauer, auf deren Kante sie balancieren, mit Schwung in die Tiefe saust.
Diese Schlüsselszene in Hans Hollmanns unkonventioneller Deutung der Fledermaus überzeugte das Publikum und löste, mitten in der Chorszene, Bühnenapplaus aus. Der Boden, auf dem sich die Figuren in Strauß' Operettenklassiker bewegen, ist unsicher und mit Intrigen und Untreue gepflastert. So spielt die Geschichte bei Hollmann auch nicht in den Wiener Salons der Jahrhundertwende, sondern auf einem Schiff. Alle sitzen im selben Boot, wenn Dr. Falke (Klaus Häger) Rache nimmt an seinem Freund Eisenstein, der ihm vor Jahren einen bösen Streich gespielt hat.
Wenn sich der Vorhang zum ersten Akt hebt, sehen wir eine riesige (Schiffs-)Wand, in deren Mitte ein großes Bullauge Einblicke ins Schlafzimmer der Eisensteins gewährt. Der Zuschauer wird zum Voyeur und schaut zu, wie sich Gabriel (Bo Skovhus) und Rosalinde (Barbara Daniels) gegenseitig belügen. Er, der eigentlich wegen Beamtenbeleidigung ins Gefängnis soll, läßt sich überreden, auf den Ball des Prinzen Orlofsky (Jochen Kowalski) zu gehen. Sie, die eigentlich trauern sollte über die bevorstehende Abwesenheit ihres Gatten, will sich die Stunden mit dem liebestollen Tenor Alfred versüßen und dann auch noch auf den Ball. Adele, das Kammermädchen (Hellen Kwon), will ebenfalls zum Ball und schiebt eine kranke Tante vor. Es kommt, wie es kommen muß: Im zweiten Akt finden alle sich – wie von Dr. Falke geplant – beim Ball wieder.
Der findet statt in einer genial-kitschigen Schiffslounge, und wenn nach dem nötigen Champagner alle zu tanzen beginnen, dann tanzt auch die Bühne. Hans Hoffer hat Räume entworfen, die irgendwo zwischen Realität und Fiktion stehen und stets den Nerv der Szene treffen. Modellschiff-Lampen schwingen an der Decke, Mauern versinken im Boden oder öffnen sich, um neue Räume freizugeben. Und immer wieder das Meer, auf dem die Gesellschaft auf den sicheren Katerkopfschmerz zusteuert. Der letzte Akt, in dem auch Volksschauspieler Fritz Muliar als Gefängnisdiener Frosch zu sehen war, spielt im Bauch des Schiffes, wo Säcke und Särge lagern und sich die Ballgesellschaft wiedertrifft, um Eisenstein, der – anders als bei Strauß – tatsächlich ins Gefängnis wandert, zu geleiten.
Merkwürdig, daß das Inszenierungsteam beim Schlußapplaus auf so heftige Ablehnung stieß, bescherte Hollmann Hamburg doch eine Inszenierung, die so gar nichts Provinzielles hat. Mit schier grenzenloser Detailfreude nahm er sich des Stücks an und animierte sein homogenes Sängerensemble zu höchstem Spielwitz. „Beau“ Skovhus, Barbara Daniels, Jochen Kowalski und Hellen Kwon, um nur die Hauptdarsteller zu nennen, zündeten ein Feuerwerk der Aktionsfreude. Ohne einen Regisseur, der eine durchdachte, saubere Arbeit ablieferte, wäre dies nicht möglich gewesen.
Christian Carsten
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