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Berlinburger und Brandinerinnen Von Mathias Bröckers

„Heut mach ich mir kein Abendbrot, heut mach ich mir Gedanken“ – würde Wolfgang Neuss heute noch aktuelle Conferencen abhalten, er müßte (und würde) sich heute über die Vereinigung Berlin/Brandenburg Gedanken machen.

Und er wäre unter Garantie der allerschärfste Befürworter – schon weil die Volksabstimmung darüber am 5. Mai, seinem Todestag, stattfindet. Der gleichzeitig auch noch der Geburtstag von Karl Marx ist, und der von Erich Fried, dem Neuss einst das Tibetische Todesbuch schenkte, von Kierkegaard, sowie, ganz offiziell, Europa-Tag.

Europa – hallo, Fusionsfeinde, schon mal gehört das Wort? Wie soll denn auf europäischer Ebene vereinigungsmäßig irgendwas funktionieren, wenn wir nicht mal auf lokaler Ebene eine kleine Landesehe gebacken kriegen? Aus Berlinern und Brandenburgern keine BerlinburgerInnen machen wollen, aber sich gleichzeitig als Europäer und Weltbürger fühlen, da paßt doch was nicht zusammen. An Marxens Geburtstag laut die Internationale pfeifen und gleichzeitig Schrebergartenpolitik als letztes Gefecht treiben ist reinster Murxismus – und kaum weniger bescheuert als die Faschos und Reps, die Großdeutschland am liebsten wieder in Ortsgruppen und Gaue aufteilen würden.

Im Prinzip sind natürlich wieder mal alle für die Fusion, aber so nun ausgerechnet nicht. Ja – aber kann denn eine Sache richtig sein, wenn Figuren wie Betonfraktions-Diepgen und Stasi-Stolpe sie betreiben, kann eine Fusion gelingen, wenn sie als Koalition von Schlaftablette und Schleimspur zustande kommt? Zwar ist der Abschreckungs-Faktor der Hauptdarsteller in diesem Drama wahrlich nicht zu unterschätzen – aber was zählt das schon, verglichen mit der grundlegenden Frage, wie ein Stadtstaat ohne Hinterland überhaupt existieren soll?

Die alten Hansestädte konnten dies nur, weil sie dank der günstigen Seelage ihr Hinterland in jede Kolonie verlegen konnten – als Bundesländer sind Bremen und Hamburg Zuschußbetriebe und ebenso obsolet wie ein Inselstaat Berlin. Der nun mal keine autarke Handels- und Hafenmetropole abgibt, genausowenig wie die sandigen Böden Brandenburgs als Pfefferinseln taugen.

Doch das scheint den Bewohnern der Krähwinkel rund um Posemuckl gar nicht mehr bewußt: Nur 45 Prozent der BerlinerInnen und 33 Prozent in Brandenburg sprechen sich nach den jüngsten Umfragen für eine Fusion aus.

Dennoch setze ich voll auf die Datumsmagie: An einem Tag wie dem 5. Mai, wo sich der Weltgeist quasi die Klinke in die Hand gibt, auf einem solchen Ereignisfeld der Geschichte können die unerwartetsten Sachen passieren – nicht nur, weil der Berliner an sich gern mal hinterfotzig ist und sich ganz anders entscheidet als er noch eine Woche vorher lautstark verkündet hat. Auch der märkische Menschenschlag ist flexibler als seine dumpfe Dickschädlichkeit auf den ersten Blick ahnen läßt.

Da die Aussicht, mit diesem armseligen Landstrich auf ewig als Bittsteller im Keller der Bundesländer-Liga zu kicken, nicht gerade anheimelnd ist, wird die Chance, zusammen mit Berlin eine europäische Spitzenregion zu bilden, am Ende doch noch als letzter Strohhalm attraktiv.

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