: Andrawes räumt Mitschuld ein
Die einzige überlebende palästinensische Entführerin der „Landshut“ steht vor Gericht: „Die Leiden unseres Volkes waren größer.“ ■ Aus Hamburg Marco Carini
Die Stimme der Angeklagten klingt eher gebrochen als kämpferisch: Ihre „kriminelle Tat sei ohne den historischen Hintergrund“ nicht zu bewerten, sie hätte „das nie tun können, wenn die Leiden unseres Volkes nicht größer gewesen wären als meine Schuld“. Souhaila Sami Andrawes Sayeh, 43, räumte gestern am ersten Prozeßtag vor der „Staatsschutzkammer“ des Hamburger Oberlandesgerichts ihre Mitschuld an einer Tat ein, die fast 20 Jahre zurückliegt. Die Palästinenserin gehörte zu dem vierköpfigen „Kommando Matyr Halimeh“ der „Popular Front for the Liberation of Palestine“ (PFLP), das am 13. Oktober 1977 die Boeing 737 „Landshut“ mit 82 Passagieren und fünf Besatzungsmitgliedern auf dem Flug von Mallorca nach Frankfurt in seine Gewalt gebracht und den Kapitän erschossen hatte.
Als einzige überlebte sie schwerverletzt – noch heute läuft sie mit Krücken – die Erstürmung der Maschine auf dem somalischen Flughafen Mogadischu durch die deutsche Bundesgrenzschutz-Sondereinheit GSG 9. Später wurde sie in Somalia und Italien zu Freiheitsstrafen von 20 und 30 Jahren verurteilt. An der Aktion zur Befreiung von elf Mitgliedern der Rote-Armee-Fraktion (RAF) aus der Haft hat sich die Palästinenserin nach eigenen Angaben aus Engagement für die palästinensische Sache und für ihre in elenden Flüchtlingslagern lebenden Landsleute beteiligt.
Die Liste der Beschuldigungen, die Bundesstaatsanwalt Homann in seiner Anklageschrift zusammengetragen hat, ist lang: Sie reicht vom erpresserischen Menschenraub über Angriff auf den Luftverkehr mit Todesfolge bis hin zum gemeinschaftlichen und versuchten Mord. Andrawes, die sich schon vor Jahren vom militanten Freiheitskampf losgesagt hat, glaubt nicht an ein faires Verfahren: „Es ist unmöglich zu richten, wenn aller Haß auf die einzige Überlebende konzentriert wird.“ Zudem kann sie nicht verstehen, daß sie „für ein und dieselbe Tat mehrmals verurteilt werden soll“.
Unter ungeklärten Umständen war Andrawes Anfang der 80er Jahre aus der somalischen Haft freigekommen und über Bagdad, Prag und Damaskus nach Oslo geflohen. In Norwegen lebte sie seit 1990 mit ihrem zweiten Mann und der gemeinsamen Tochter. 1994 wurde sie entdeckt und am 25. November 1995 nach Hamburg ausgeliefert – just an dem Tag, an dem PLO-Führer Jassir Arafat in der Hansestadt empfangen wurde.
Das Verfahren, das auf mindestens 12 Verhandlungstage angesetzt ist, wird auch ein Stück deutscher Geschichte aufrollen. Nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto wurde am 5. September Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von der RAF gekidnappt. Während noch mit den Entführern verhandelt wurde, kam es zur Entführung der „Landshut“. Mit ihrer Aktion wollte das Palästinenser- Kommando die Forderung nach Entlassung von elf RAFlern, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, unterstützen. Der „große Bonner Krisenstab“ zeigte sich unnachgiebig, die Maschine wurde gestürmt. Wenige Stunden später wurden Baader, Ensslin und Raspe in ihren Zellen tot aufgefunden. Die offizielle, immer wieder angezweifelte Version lautet auf Selbstmord. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wurde einen Tag später im französischen Mühlhausen ermordet aufgefunden.
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