: „Herr Arndt weiß vielleicht nicht alles“
■ Fahndung nach Reemtsma-Entführern läuft / Die Tricks von Polizei und Boten
Führt Karl Kraus die Polizei auf die Spur der Reemtsma-Entführer? Die Aufsatzsammlung „Hüben und Drüben“ von Kraus ist für die Sonderkommission (SoKo) eine der wichtigsten Spuren. Denn das Suhrkamp-Taschenbuch, das Jan Philipp Reemtsma von seinen Entführern Anfang April besorgt wurde, ist nach Meinung der Polizei selten im Handel vorrätig; sie hofft herauszufinden, wo es die Kidnapper besorgt haben könnten.
Fest steht für die SoKo: Reemtsma wurde in einem etwa drei mal vier Meter großen Kellerraum eines Einzelhauses festgehalten, das nicht weiter als 150 Kilometer von Hamburg entfernt nahe einer Autobahnauffahrt liegt. Reemtsma hält auf einem Foto, das die Entführer seiner Familie als erstes Lebenszeichen schickte, eine Bild-“Zeitung“ in der Hand, die nur im Raum Bremen/Bremerhaven verkauft wurde. Zudem dürfte sich in der Nähe des Verstecks ein „Continent“-Markt befinden, in dem die Kidnapper einen Großteil der Verpflegung für ihre Geisel besorgten.
Bis zum 1. Mai gingen bei der polizeilichen Sonderkommission (
Während die Jagd auf Hochtouren läuft, wird eines immer klarer: In der Endphase der Entführung haben die Polizei und die beiden Geldboten – der Hamburger Pastor Christian Arndt und der Kieler Soziologe Lars Clausen – konsequent gegeneinander gearbeitet und versucht, sich gegenseitig auszutricksen. Arndt und Clausen wollten die Polizei auf ausdrücklichen Wunsch Reemtsmas ganz heraushalten, um die Freilassung ihres Freundes nicht zu gefährden. Die SoKo wollte sich aber nicht die Lösegeldübergabe aus der Hand nehmen lassen, ohne zumindest die Banknoten zu registrieren.
Arndt und Clausen informierten die Polizei rund eine Woche gar nicht darüber, daß sich die Entführer und Reemtsma bei ihnen gemeldet hatten. Mit Hilfe zweier privater Sicherheitsdienste besorgten sie die geforderten 30 Millionen Mark – eine Hälfte in Schweizer Franken, eine in 1000-Mark-Scheinen – ohne Wissen der Polizei im Ausland. Die Polizei führten sie mit Hilfe von Reemtsmas Ehefrau Ann Kathrin Scheerer zunächst auf die falsche Fährte, daß der Ex-GAL-Politiker Michael Herrmann den Kontakt zu den Entführern habe. Folge: Die Polizei observierte Herrmann so dilettantisch, daß der das bemerkte.
Trotz des Verwirrspiels gelang es der Polizei aber offenbar doch, am Ball zu bleiben. „Wir waren nicht vor Ort, aber dabei“, sagt Werner Jantosch zur Rolle der Polizei bei der gelungenen Lösegeldübergabe. Das kann eigentlich nur heißen: Auto oder Lösegeld wurden von der SoKo unbemerkt verwanzt, Arndts Handy möglicherweise angezapft. Zu dessen Behauptung, die Polizei sei bei der Lösegeldübergabe „völlig aus dem Spiel gewesen“, meint Jantosch kurz: „Vielleicht weiß Herr Arndt ja nicht alles.“
Schnittstelle der gegeneinander arbeitenden Parteien war vermutlich der von Ann Kathrin Scheerer eingeschaltete private Sicherheitsdienst „ESPO“. „Die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sollten nur herausbekommen, inwieweit die Polizei über unser Vorgehen informiert war“, so Arndt. Doch die im Ausland besorgten Lösegeld-Millionen gelangten nach Informationen aus Polizeikreisen kurzzeitig in die Hand der Reemtsma-SoKo, ohne daß Arndt und Clausen davon Wind bekamen. Außer den beiden Geldboten und dem Hamburger Bankier Max Warburg waren aber nur die Espo-Mitarbeiter mit dem Geld in Berührung gekommen.
Bei der Polizei sollen die Banknoten registriert und möglicherweise auch so präpariert worden sein, daß sie sich nach einiger Zeit verfärben. Landeskriminalamtsleiter Wolfgang Sielaff ist sicher: „Die Entführer werden nicht lange Freude an dem Lösegeld haben.“
Marco Carini
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen