: Die schöne Querulantin
„Bonjour Tristesse“ und „Außer Atem“ machten sie berühmt: Jean Seberg war Ende der Fünfziger das Idol rebellischer weiblicher Teenager. Danach geriet ihre Karriere ins Schlingern. Das Eiszeit-Kino zeigt einige ihrer Filme ■ Von Lars Penning
Gerade als die Europäer Ende der fünfziger Jahre die pralle Weiblichkeit in Gestalt von Sophia Loren und Gina Lollobrigida nach Hollywood exportierten, entwickelte sich eine zerbrechlich wirkende amerikanische Schauspielerin auf dem alten Kontinent für kurze Zeit zur Verkörperung eines neuen, modernen Frauentyps. François Truffaut hat Jean Seberg in einem Text zu „Bonjour Tristesse“ (1958) treffend beschrieben: „kurzes, aschblondes Haar auf dem Pharaonenkopf, die blauen Augen weit geöffnet, aufblitzend in jungenhaftem Schalk“.
Sebergs Filmkarriere hatte 1956 begonnen, als die damals 18jährige mit großem Medienrummel von Regisseur Otto Preminger für die Titelrolle seiner Verfilmung von George Bernhard Shaws „Saint Joan“ auserkoren wurde. Doch beinahe wäre ihr erster Film auch zu ihrem letzten geworden: Nur knapp entging sie in der Scheiterhaufenszene aufgrund eines technischen Defekts der leibhaftigen Verbrennung. „Bonjour Tristesse“, ihr zweiter Film unter Premingers Regie, prägte dann für lange Zeit Sebergs Image: Sie spielt die junge Hedonistin Cecile, die gemeinsam mit ihrem Vater, einem flotten Playboy, die Ferien an der Côte d'Azur verbringt. Cecile lebt für den Tag; ihre Interessen beschränken sich auf Sonne, Meer und Flirts. Vaters neue Liebe, die kühle, vernünftige Deborah Kerr, die ihr statt dessen Büffeln für ein Examen verordnen möchte, wirkt sich da störend aus und wird nach allen Regeln der Kunst vergrault – mit tödlicher Konsequenz. Die Amerikaner mochten Preminger auf seine Reise nach Südfrankreich jedoch nicht folgen: Der Film fiel ebenso durch wie zuvor „Die heilige Johanna“.
Bei den französischen Jungregisseuren und Autorentheoretikern der Nouvelle Vague hatte Preminger hingegen den Status eines Säulenheiligen der Regiekunst. Durch seine Filme wurde auch Jean Seberg zum Objekt ihrer cinephilen Begierde. Truffaut fühlte sich von ihr zu einem seiner meistzitierten Aussprüche inspiriert („Der Film ist eine Frauen-, das heißt Schauspielerinnenkunst. Die Arbeit des Regisseurs besteht darin, hübsche Frauen hübsche Dinge machen zu lassen...“), und Godard gab ihr die Hauptrolle in seinem ersten Spielfilm „A Bout de Souffle“ (1959). Als lebenslustige Amerikanerin in Paris, die mit dem Zufallsmörder Belmondo durch die Betten tollt, ihn am Ende jedoch an die Polizei verrät, wurde sie zum Idol rebellischer weiblicher Teenager. Ihre Kurzhaarfrisur entwickelte sich sogar zum Moderenner der Saison.
Doch nach diesem vielversprechenden Auftakt plätscherte Sebergs Karriere relativ enttäuschend vor sich hin. Nur noch wenige Produktionen, wie Philippe de Brocas bittersüße Liebesgeschichte „L'Amant de Cinq Jours“ (1961) und Robert Parrishs Parisfilm „In the French Style“ (1963) vermochten den Zauber ihrer Persönlichkeit einzufangen.
Eine Ausnahme im Wust wenig bemerkenswerter Filme stellt ihr wohl bester amerikanischer Film „Lilith“ (1964) dar. In der Titelrolle verkörpert Seberg die attraktive Patientin (mit langem blonden Haar) einer noblen privaten Psychiatrieklinik. Sebergs fragiles Äußeres steht dabei im Kontrast zu ihrer starken, wenngleich gespaltenen Persönlichkeit. Wie die schizophrene Spinne, deren Verhalten ein Psychiater dem Pflegepersonal demonstriert, spinnt sie ihr „asymmetrisches und alptraumhaftes Netz“, in dem sich Mitpatienten ebenso verfangen wie ihr Pfleger (Warren Beatty), der zunächst ihr und dann dem Wahn verfällt.
Der letzte Film des bereits während der Dreharbeiten tödlich erkrankten Regisseurs Robert Rossen ist jedoch kein Sexthriller im Irrenhaus, sondern eine poetische Reflexion über die Verwandtschaft von Wahn, Kreativität und kindlichen Verhaltensmustern – fotografiert in exquisitem Schwarzweiß von Eugen Schüfftan, einem der größten Kameramänner der Filmgeschichte.
Doch auch „Lilith“ erwies sich als totaler Flop an der Kinokasse. Neben dem Problem einer langsam im Sande verlaufenden Filmkarriere hatte Seberg in den siebziger Jahren auch privat massive Probleme: In drei Ehen wurde sie nicht glücklich, und ihre aktive Unterstützung der Black-Panther-Bewegung machte sie zur Zielscheibe der Überwachungsspezialisten des FBI. Eine gezielte Verleumdung zerrte an ihren Nerven (man bezichtigte sie einer außerehelichen Affäre mit einem Black-Panther- Aktivisten, der auch als Vater ihres bei einer Fehlgeburt gestorbenen Babys bezeichnet wurde), Depressionen und steigender Alkoholkonsum waren die Folgen.
1979 wurde Jean Seberg tot in ihrem Auto aufgefunden. Mit diesen unerfreulichen Aspekten ihres Lebens beschäftigt sich auch der Dokumentarfilm „Jean Seberg – American Actress“ (1995), den das Eiszeitkino ab 2. Mai zusammen mit einigen ihrer schönsten Filmen in einer kleinen Reihe zeigt.
Termine siehe cinemataz
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