: Ein Dschungel für Unternehmer
■ taz-Serie Fusion: Wer in der Region Berlin-Brandenburg investieren will, braucht einen langen Atem. Zwei Wirtschaftsministerien buhlen mit einer Vielzahl von Förderprogrammen um Neuansiedlungen.
Der Aufstieg des Traditionsunternehmens Butzke begann mit einer sanitären Revolution. Als die Einrichtung von Ab- und Frischwasserleitungen zur Pflicht wurde, begann der findige Geschäftsmann Friedrich Butzke mit der Produktion seiner Markenarmaturen in Berlin. 1873 führte er schließlich das Wasserklosett in der damaligen Reichshauptstadt ein. Zusammen mit dem Buchdrucker Ernst Litfaß kombinierte er später Werbung und Pinkeln: er stellte Urinoire auf, Litfaßsäulen, in denen man sich erleichtern konnte.
123 Jahre später geht die Firma, die sich jetzt Aqua Butzke nennt, raus aus der Stadt. Im Ludwigsfelder PreußenPark investiert das Unternehmen 40 Millionen Mark. „Wir hätten nur noch in die Höhe gehen können“, so Vorstandssprecher Werner Klatt über die Erweiterungsmöglichkeiten am bisherigen Standort in der Ritterstraße. Aber Aqua Butzke wollte nicht in die Luft gehen, sondern wachsen. Außerdem sollten die im Westen der Republik vorgehaltenen Lager aufgelöst werden. Also baut Butzke in Ludwigsfelde eines der modernsten Unternehmen auf dem Gebiet der Armaturentechnik sowie ein Logistikzentrum.
Fusion verhindert keine Abwanderung
Es ist schwerlich vorstellbar, daß eine Fusion die Abwanderung der Armaturen-Firma aus der City hätte verhindern können. Transport- und flächenintensive Produktionen werden nicht tief in das Umland verlagert. Sie ziehen vielmehr an den Rand Berlins, „weil sie die Nähe zur Stadt brauchen“, sagt der Fusionsexperte der Industrie- und Handelskammer (IHK), Volkmar Strauch. Dennoch gilt: In einem Land Berlin-Brandenburg ließen sich Gewerbeansiedlungen sinnvoller steuern als in zweien. Bei jeder Ansiedlung, sagt der Pressesprecher der IG Metall, Michael Böhm, „gibt es bislang zwei Parteien, die man gegeneinander ausspielen kann“. Pokerspiele unter hohem Einsatz von Steuergeldern, so Böhm.
„Wir wissen ja nie, wieviel Berlin geboten hat“, illustriert Patricia Schuster, Sprecherin des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums, den Wettlauf der Investoren um Fördermittel. Acht Milliarden Mark hat das Land seit 1990 bewilligt, um Gewerbe nach Brandenburg zu locken. Das gelang 4.500mal. Zwei Drittel der Unternehmen haben sich im berlinfernen Raum niedergelassen, also in der Uckermark im Norden, im Elbe-Elster-Kreis oder anderswo im äußeren Entwicklungsraum. Der Rest der angeworbenen Betriebe firmiert im sogenannten Speckgürtel. Aber da ist „bestenfalls die Hoffnung auf Speck“, korrigiert Patricia Schuster das Unwort der ganzen Fusionskampagne. Selbst in diesem inneren Entwicklungsraum gleich hinter der Stadtgrenze muß die brandenburgische Regierung noch den höchsten Ansiedlungszuschuß ausloben. Mit maximal 35 Prozent beteiligt sich das Land an Investitionen, in der Hoffnung, daß die Ansiedlung neuer Industrie irgendwann einmal Arbeitsplätze und Steuern bringt. Es gehe derzeit gar nicht um großartige Ansiedlungsprojekte, ergänzt Volkmar Strauch von der IHK: „Wir müssen halten, was noch da ist.“
Einen bloßen Umzug von hie nach da mag Brandenburg allerdings nicht fördern, heißt es. Die Gelder fließen nur, wenn Erweiterungsinvestitionen getätigt werden, sprich: der von Berlin wegziehende Betrieb muß mehr Arbeitsplätze anbieten als in Kreuzberg oder im Wedding.
Daß die Kontrolle da nicht immer leichtfällt, zeigt der Fall DeTeWe. Die Kreuzberger Kommunikationshersteller haben eine hypermoderne „Fabrik 2001“ unmittelbar hinter die östliche Stadtgrenze gesetzt. Produktion der kurzen Wege, Gruppenarbeit, wenig Stationen bis zum Kunden – so wird laut Firmenbroschüre im brandenburgischen Dahlewitz- Hoppegarten produziert. Aber DeTeWe hat seine Produktion erst zerlegt und dann verlegt: 300 Beschäftigte montieren, computergestützt, Telefone und Nebenstellenanlagen in Dahlewitz; der Betriebsteil für Frankiermaschinen (Frankotypostalia) sitzt jetzt wenige Kilometer vor der Berliner Stadtgrenze in Birkenwerder – und ist verkauft; 1.500 Jobs bietet DeTeWe noch in der Kreuzberger Wrangelstraße an. Mancher Gewerkschafter will nun erst mal abwarten, „wieviel Arbeitsplätze da am Schluß übrigbleiben“. Da muß die Brandenburger Investitionsbank, die die Zuschußkontrolle vornimmt, wohl sehr genau hinsehen: Welcher Betriebsteil wird gerade verlegt, erweitert oder vielleicht geschlossen?
Während die einheimischen Investoren die Wirtschaftsminister Brandenburgs und Berlins, Burkard Dreher (SPD) und Elmar Pieroth (CDU), gegeneinander ausspielen können, schütteln ausländische Interessenten nur mehr mit dem Kopf. „Ein Japaner oder Amerikaner versteht das nicht“, urteilt der Metaller Böhm über den Umstand, daß zwei Wirtschaftsministerien mit verschiedenen Richtlinien zuständig sind: „Die verlaufen sich im Dschungel der Wirtschaftsförderung.“
900 Subventionsprogramme gibt es in der Region, die im wesentlichen von drei großen Töpfen abhängig sind: Steuernachlässe, die Finanzämter Investoren gewähren; Zuschüsse öffentlicher Kreditbanken; Finanzspritzen aus der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur“ von Bund, Ländern und Europäischer Union. Und mitten durch den Dschungel durchläuft die Landesgrenze.
Unseriöse Prognosen
Bei so vielen Fördertöpfen fällt das Rechnen auch professionellen Wirtschaftsanalytikern nicht leicht. 200 Milliarden Mark würden in der Region bis zum Jahre 2003 investiert, hat die volkswirtschaftliche Abteilung der Grundkreditbank in einer Modellrechnung prognostiziert. Doch während Chefvolkswirt Heinz Grimm zur Vorsicht mahnt und die Zahlen nicht vorschnell auf die Fusion zu beziehen, hat das Finanzblatt Capital sie für ihre kommende Ausgabe zur Grundlage einer schönen Erfolgsstory erkoren. Die Werkstatt der Einheit, Berlin- Brandenburg, brauche „keine Angst vor der Zukunft“ zu haben. Mit zehn- bis elfstelligen DM- Summen boomen die Capitalisten die Metropole und ihr hübsches Umland auf Hochglanz – nicht nur die Forscher des renommierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) werden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aus eigenen Berechnungen und einer Unternehmensbefragung meinen sie zu wissen, daß die Fusion die Investitionstätigkeit nur zeitlich verzögert stimulieren wird. Auf Mark und Pfennig könne man das keinesfalls ausrechnen, warnt Dieter Vesper vom DIW. Freilich wird die Länderehe der Investitionstätigkeit keinesfalls schaden, da sind sich alle einig.
Ob die Volksabstimmung am Sonntag nun ein Erfolg wird oder nicht, manch einer darf sich schon jetzt zu den Gewinnern zählen. Der Wirtschaftsforscher Wolfgang Cezanne von der TU Cottbus etwa, der den Unternehmensverbänden von Berlin und Brandenburg eine gewiß teure Fusionsstudie schrieb. Seine überaus optimistischen Weissagungen (90.000 Arbeitsplätze zusätzlich und 1.000 Mark mehr in der Geldbörse für jedermann) stützte er mit treuem Augenaufschlag auf eine seriöse Quelle: die Modellrechnung der Grundkreditbank. Daß Cezanne an dieser Rechnung ebenfalls modelliert und mitverdient hat, vergaß er zu erwähnen. Günstige Fusionsprognosen werden derzeit eben auch zweimal hoch bezahlt. Christian Füller
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