Wahnsinn in Zinn

■ Chris Burden und die Gartenzwerge: Eine Retrospektive des amerikanischen Bildhauers und Vietnamkriegsgegners im Museum für Angewandte Kunst, Wien

Gibt es einen Zusammenhang zwischen einer Ausstellung Chris Burdens im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) und einem Vorgarten im brandenburgischen Groß-Langerwisch? Die Frage sei einem an den Folgen der „Einheit“ interessierten Menschen gestattet, besonders wenn dieser gerade unter direktem Einfluß einer „brandenburgischen Melancholie“ steht.

In besagtem Vorgarten also ist eine Kolonne von Gartenzwergen in exakten Abstand zueinander gebracht, jeder einzelne mit der Vorederseite zur Straße. Mit greller Farbe bemalt, zeigen Schneewittchen und die sieben Zwerge, Förster und Musikanten ihr erstarrtes Lächeln. Nun sind Gartenzwerge an sich nichts Besonderes, doch niemand in der Häuserzeile hat sich dermaßen exponiert, keiner wagt seinen Wunsch nach Glück, Schmuck, Harmonie und Ordnung so hysterisch zu äußern wie die Bewohner des „schreienden Vorgartens“. Alle anderen haben ihre Vorgärten mit karger Uniformierung überzogen, als Gärtnerdreß dient die ausgemusterte Jacke der NVA – und so steht auch „N for A“ mit Klebebuchstaben auf den gestylten Kleinwagen der älteren Jugend.

Ganz langsam bewegen wir uns auf Chris Burden zu, denn auch er beginnt gerne beim Banalen, bei der Ordnung – nur daß Burden nicht nach Ordnung, sprich: Hilfe schreit, sondern zeigt, wie man entgleiste Ordnung, also Katastrophen, anfaßt und vielleicht sogar meistert. Wie man mit Ritualen der Kunst die Illusionen dieser Kunst demoliert und die Schrecken der Gegenwart bezeichnet.

Auch Burden bedient sich kleiner Figuren, um den Wahnsinn und seine Energien zu bebildern. Die kleinen Figuren sind so groß wie Zinnsoldaten und aus ebendiesem Material. Doch im Gegensatz zur Hobby-Idylle stellen sie dunkle Momente der amerikanischen Geschichte nach: die Explosion der ersten Atombombe, das Massaker von My-Lai, die Ermordung Kennedys und die brutale Niederschlagung einer Campus-Revolte, alles 1992 in einer Glas- und Plexiglasvitrine versammelt.

In einer anderen Arbeit unterbreitet Burden den Vorschlag eines Denkmals für die im Krieg getöteten Vietnamesen. Das Denkmal besteht aus zwölf an eine Aluminiumsäule montierten Kupferplatten, in die drei Millionen Namen geritzt sind. Namen von Nord- und Südvietnamesen, die im Lauf des amerikanischen Engagements im Bürgerkrieg von 1968 bis 1973 getötet wurden. In Vietnam liegt das Trauma seiner Generation. Die gelbe Dampfwalze, die Burden in der Halle des MAK fliegen läßt, gehörte einst zum Fuhrpark der US-Navy und planierte in Vietnam Landebahnen. Mit „The Flying Steamroller“ – der über zwölf Tonnen schweren Dampfwalze, die vermittels einer sechs Meter hohen hydraulischen Vorrichtung im Kreise fliegt – hat Burden den Mythos von der Rationalität der Maschinen endgültig zerstört.

Daß ihm dies so leicht und ironisch gelingt, liegt wohl auch daran, daß der 1946 geborene Künstler profunde Kenntnisse der Physik und Architektur besitzt. Präzise deliriert Burden zwischen Technik und Fiktion, so etwa, wenn er das Modell eines segelnden Zerstörers entwirft oder alle Unterseeboote, die die US-Navy jemals besessen hat, in einem gigantischen Mobile zusammenfaßt. Konsequent konfrontiert er das MAK mit dem Gedanken an den eigenen Untergang, indem er eine wirksame Zerstörungsmaschine im Foyer des Gebäudes installierte: Zwischen zwei tragende Pfeiler montierte er eine expansive Eisenspange, die die Pfeiler zum Bersten bringen werden, so nur genügend Besucher ins MAK kommen und dabei ein Drehkreuz bedienen, das bei jeder Drehung seine Kraft an die Zerstörungsmaschine weitergibt.

Burdens Sprache und die Sprachlosigkeit der Vorgärten: hier der Ausdruck von Unabhängigkeit, dort die Traumatisierung. Die Sprache der Vorgärten – eine Sklavensprache: „N for A“, Gartenzwerge machen keine Revolutionen. Peter Funken

Chris Burden: „Beyond The Limits“. Bis 4.8. im Museum für Angewandte Kunst, Wien