: Eine Lektion in Sachen Pressefreiheit
In Weißrußland steht die Presse unter der Knute des Staatsapparats. Die Gleichschaltung schreitet fort. Am 1. Mai wurden erstmals Journalisten vom Staatssicherheitsdienst angegriffen ■ Von Barbara Oertel
Ganz so hatten sich die Menschen in der weißrussischen Haupstadt Minsk ihre Demonstration zum 1. Mai doch nicht vorgestellt. Dabei deutete alles auf einen störungsfreien Ablauf hin, ganz im Sinne von Staatspräsident Alexander Lukaschenko. Am Vortag hatte die oppositionelle Volksfront ihre Anhänger dazu aufgerufen, nicht an der Kundgebung teilzunehmen. Wohl, um sich nicht erneuter Verfolgung auszusetzen. 200 ihrer Mitglieder sitzen seit der Straßenschlacht von vergangener Woche noch in Haft.
Doch die weißrussische Staatsmacht nahm den Marsch zum Anlaß, dem Volk eine Lektion über das Grundrecht auf Pressefreiheit zu erteilen. „Die schlagen ja die Journalisten“, rief eine ältere Frau entsetzt. Allerdings zog es die Menge vor, zu den breitschultrigen Herren auf Distanz zu gehen.
„Es waren fünf Männer, bewaffnet und in Zivil. Sie packten meinen Kameramann, schlugen ihm auf den Rücken und nahmen ihm drei Filmkassetten weg, unser gesamtes Material“, berichtet der weißrussische Journalist und Korrespondent des unabhängigen russischen Fernsehsenders NTV, Alexander Stupnikow. Auch drei anderen weißrussischen Journalisten wurden die Filme gewaltsam aus den Fotoapparaten gezogen und damit die Arbeit eines ganzen Tages zunichte gemacht. Einer Gruppe russischer Journalisten versperrten Angehörige des Sicherheitsdienstes die Weiterfahrt und forderten sie auf auszusteigen. Als selbst die Drohung, die Scheiben des Wagens einzuschlagen, die Pressevertreter nicht zum Verlassen ihres Fahrzeuges bewegen konnte, ließen Lukaschenkos Handlanger das Fahrzeug passieren.
Bemühte sich der weißrussische Präsident bislang, die Presse möglichst unauffällig, wenngleich nicht weniger effektiv zu knebeln, so scheint der Apparatschik jetzt keine Hemmungen mehr zu haben, auch in aller Öffentlichkeit gegen Journalisten vorzugehen. Einen ersten Vorgeschmack darauf, wie Lukaschenko fortan mit den Medien umzuspringen gedachte, bekamen die Weißrussen bereits im Dezember 1994, kurz nach Amtsantritt des ehemaligen Kolchosvorsitzenden.
Ein Referat des Abgeordneten Alexander Antonschik über Korruption in der Staatsspitze durfte nicht gedruckt werden. Aus Protest ließen die Redakteure die Seiten weiß. Kurz darauf wurden alle Chefredakteure der staatlichen Zeitungen gefeuert.
Druckereien neugegründeter unabhängiger Zeitungen ließ Lukaschenko in der Folgezeit verbieten. Die wenigen oppositionellen Blätter, die es jetzt noch gibt, müssen in Litauen oder Polen gedruckt werden. Die verbliebenen staatlichen Zeitungen wie Sowetskaja Belorussija (Sowjetisches Weißrußland) und Narodnaja Wolja (Volkswille) stehen mittlerweile alle unter direkter Kontrolle des Präsidentenapparates. Bei der Auswahl des Personals scheint Lukaschenko anspruchsvoll zu sein. So brachte es Naradonaja Wolja allein im letzten halben Jahr auf drei Chefredakteure. Auch beim weißrussischen Fernsehen, das nur drei Prozent der Bevölkerung sehen, läßt Lukaschenko regelmäßig die Köpfe der Mitarbeiter inklusive Leitung rollen.
Vor kurzem erließ der Präsident eine Verordnung, wonach die staatlichen Massenmedien nur noch mit Nachrichten von der ebenfalls staatlichen Agentur beliefert werden dürfen. Der Erfolg blieb nicht aus: Von mehreren unabhängigen Agenturen sind nur noch zwei übriggeblieben. Einen Tag vor der Demonstration in der vergangenen Woche erhielt Alexander Stupnikow einen Anruf. Er solle der Veranstaltung lieber fernbleiben. Sonst hätte er mit Unannehmlichkeiten zu rechen. „Der Druck auf uns Journalisten ist ständig gewachsen“, sagt er. „Aber noch nie wurden Journalisten tätlich angegriffen. Bis zum 1. Mai.“
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