: „Die pinkeln doch in die Büsche“
■ Ungewollte Nachbarschaft: Bauwägler, Reihenhäusler und Kleingärtner
Mit kurzen, kräftigen Besenstrichen wirbelt Maria Theiner den Dreck vom Gehweg. Die Treppenstufen des graugestrichenen Mietshauses an der Uelzener Straße glänzen vom Wischwasser. „Davon können Sie ausgehen, daß die Leute hier was gegen die da haben“, sagt die „Reinemachfrau“, wie sie sich selbst nennt, hält inne und nickt mit dem Kopf in Richtung Bahndamm. Etwa 50 Meter neben den Gleisen haben sich dort vor einigen Tagen die Mitglieder von Kwell, dem Verein für konstruktiven Wahnsinn, leben und leben lassen, niedergelassen. Seit drei Wochen ziehen die Individualisten, die es grundsätzlich ablehnen, in Wohnungen zu leben, mit ihren Bauwagen durch die Stadt. Sie wollen ein städtisches Grundstück pachten, um dort in einer „Wagenburg“ zu leben. Die Behörden lehnen ab – und verfolgen die Bauwägler mit Räumungsverfügungen (die taz berichtete).
„Die Leute verrammeln und verriegeln hier alles. In diesem Haus wohnen halt viele ältere Leute, die sich auch nicht mehr trauen, da lang zu gehen“, weiß Maria Theiner. Mitten durch die wilde Wagenburg an der Beneckendorffallee führt ein geplasterter Gehweg. Um die Bauwägler kommen die Hemelinger im wahrsten Sinne des Wortes nicht herum: Zwei Bauwagen stehen links des Weges, acht rechts. „Platz da“ steht auf einem buntbemalten Bauwagen. Auf einer Leine, die zwischen zwei Wagen gespannt ist, hängt eine blaue, zottige Wolldecke. Ein offener Anhänger hat jemandem offenbar als Frühstückstisch gedient: Schmutziges Kochgeschirr liegt auf dem Fußboden. Auf der Mini-Kochplatte steht ein rußgeschwärzter Teekessel. Ein Glas mit Honig und eine Tonschale stehen daneben im Staub. Aus einer abgesplitterten Keramikvase ragt ein vertrockneter Ginster-Strauß. Neben den Bauwagen stapeln sich Bretter. Abgewetzte Sessel und lädierte Campingstühle laden zum Plausch im Freien.
„Ich bin Du, Du bist ich: Auch nur ein Mensch“, steht auf einem schmuddelig-weißen Bettuch, das gut sichtbar an einem Bauwagen im Wind flattert. Ein Appell offenbar an die Nachbarn, die nur 150 Meter weiter hausen: in den liebevoll gezimmerten Bretterbuden ihrer Kleingärten, in der Mietskaserne und in den schmucken Reihenhäusern aus rotem Backstein.
„Ich verstehe nicht, daß die Stadt denen keinen festen Platz zur Verfügung stellt“, sagt Hans Maes und schüttelt den Kopf. Seit 1961 wohnt er in der Reihenhaussiedlung am Bardowick. Junge Familien mit Kindern leben hier Tür an Tür mit älteren Ehepaaren. In den Vorgärten blüht der Frühling: Gelbe Stiefmütterchen sprießen aus hölzernen Fässern. Tulpen und Vergiß-mein-nicht säumen die Gehwege. Der Rasen ist kurz geschoren, die Hecken sind gestutzt. Goldfische schwimmen in den Gartenteichen. Mini-Springbrunnen plätschern vor sich hin. Bemalte Wagenräder schmücken Wände. Geflochtene Kränze aus Weidenästen baumeln an Haustüren. „Soweit ich weiß, sind das auch keine Ganoven oder Kriminelle. Nur das die bis nachts um elf am Feuer sitzen und ihre Hunde frei rumlaufen lassen, stört mich“, fügt Maes hinzu.
Die Hunde Bauwagenbewohnern stören auch Guda Ahrens. „Neulich hat ein Hund den Kuchen vom Gartentisch eines Nachbarn geklaut“, erinnert sie sich. „Begeistert bin ich nicht. In dieser Siedlung gibt es viele kleine Kinder, und die sitzen da den ganzen Tag mit ihren Bierdosen rum. Ob die Alkohol- oder Drogenprobleme haben, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber glücklich ist das Ganze nicht. Meine Mutter, die 69 Jahre alt ist, traut sich nicht mehr, da lang zu fahren. Ich habe schlicht und einfach kein gutes Gefühl.“ Auch Wilhelm Eickriede hat ein „ungutes Gefühl“. „Aber eins muß man ehrlich sagen: Meines Wissens ist bisher noch nichts geklaut worden. Und die sind auch sonst ganz ruhig. Aber die werden jetzt sehr beobachtet, und das wissen sie. Es ist die Frage, ob es so ruhig bleibt. Wenn das so bleibt wie es jetzt ist, dann muß ich zugeben, daß ich nichts dagegen haben kann. Nur das mit den Toiletten müßte geregelt werden“, schlägt der Rentner vor.
„Die pinkeln in die Büsche, die Hunde laufen hier rum und kaken alles voll“, schimpft hingegen eine seiner Nachbarinnen, die namentlich nicht genannt werden möchte. „Das sind ganz dreckige Leute. Die versumpfen regelrecht im Dreck. Ich finde zwar, jeder sollte nach seiner Facon selig werden. Aber das geht zu weit. Mir paßt auch vieles nicht, und ich muß mich anpassen. Ich kann nur hoffen, daß die Stadt schnell dafür sorgt, daß die hier wieder abhauen.“
Das wünscht sich auch eine andere Nachbarin. „Die Hunde laufen hier frei rum und baden in den Teichen“, schimpft die Mutter zweier Kinder. „Überall liegt Hundekake“, wirft ihr kleiner Sohn ein und versteckt sich flugs wieder hinter den Beinen seiner Mutter. „Die gehen doch in die Büsche. Aber selbst wenn die Toiletten hätten, würde ich nicht wollen, daß die sich hier niederlassen. Ich hab' Kinder. Die sollen solche Lebensformen nicht unbedingt vor der Nase haben.“
„Wir hoffen, daß die hier bleiben können“, wünscht sich hingegen Ole Schwarten (19). „Die sind locker drauf. Ich finde es super, daß die hier sind“, fügt die 18jährige Kathrin Gülke hinzu. „Das Problem wird ja nicht dadurch gelöst, daß man die von einem Platz zum anderen jagd. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich sie hier haben will“, gibt eine Reihenhaus-Bewohnerin unumwunden zu. „Allein, wenn ich dieses Chaos sehe“.
„Ich seh' das schon kommen, daß die zur Selbsthilfe greifen und mir Gemüse aus dem Garten klauen“, fürchtet ein Kleingärtner. „Die gehören doch zu den Leuten, die nicht säen, sondern nur ernten“, schimpft er und macht eine kurze Pause. „Aber wenn sie nichts machen, können sie von mir aus bleiben“, sagt er, schweigt und kratzt sich am Kopf. „Aber eins kann ich Ihnen gleich sagen: Wenn hier wieder Leute in die Buden einbrechen. Dann sind die's gewesen. Auch wenn es ganz andere waren. Und dann haben wir den Salat.“
Kerstin Schneider
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