piwik no script img

Guter Sex in dürftiger Zeit

„Das tägliche Nichts“: Ein Roman der Kubanerin Zoé Valdés über die Tröstungen des Fleisches  ■ Von Bodo Morshäuser

In den neunziger Jahren kommt eine Kubanerin von Mitte Dreißig in ihr Land zurück und ist schockiert, wie wenig dort funktioniert, wie zurückgeblieben der Lebensstandard ist. Sie bekommt eine Anstellung als Redakteurin einer Literaturzeitschrift, wo sie allerdings nicht arbeiten kann, da ihr nicht genügend Papier zur Verfügung gestellt wird. Aus diesem Frust heraus schreibt die Frau auf, was Kuba, was die Menschen ihres Lebens für sie bedeuten, und kommt am Ende zu einer Abrechnung mit den politischen Zuständen, mehr noch: dem politischen System in Kuba.

Die Erzählerin wird am 2. Mai 1959 geboren, und zufällig ist es Ché Guevara persönlich, der der hochschwangeren Mutter die kubanische Flagge über den Bauch breitet, „und Fidel setzte seine Ansprache fort, die grüner war als die Palmen“. Der linientreue Vater ist sauer, daß die Geburt nicht auf den ersten Mai gefallen ist. Zum Ausgleich bekommt das Mädchen den Namen Patria, Vaterland.

Die Kindheit des Mädchens läßt die Autorin Zoé Valdés aus, für das Mädchen geht das Leben als junge Frau, mit der Pubertät weiter. Zoé Valdés scheint nichts mehr Spaß zu machen, als über Sex zu schreiben, „mit der Macht der Möse und des Verstandes zum Angriff überzugehen“. Ihre Vulgarität ist stilsicher, die Benennung der verborgenen Körperteile frech und treffend. Schon nach wenigen Sätzen vertraut man der Begriffslandkarte der Autorin und partizipiert als Leser an ihrer Lust, dies zu erzählen: wie das mit den Männern ist.

Während die Erzählerin auf Kuba ihren Bericht schreibt, hat sie zwei Liebhaber, sie nennt sie „den Verräter“ und den „Nihilisten“. Der Verräter ist ihre erste Liebe, mit ihm ist sie nach Paris gegangen, mit ihm ist sie wiedergekommen. Der Verräter ist von Beruf Schriftsteller und hat großen Einfluß auf die Erzählerin, die auch einmal Schriftstellerin werden will.

Den Verräter stört an ihr der Name Patria, er meint, wer wolle schon mit dem Vaterland ins Bett gehen. Daraufhin nennt sich Patria um in Yocandra, den Namen der Hauptfigur eines Gedichtzyklus des Verräters. Diesen Mann hat sie früh genug kennengelernt, um sich von ihm entjungfern zu lassen, aber er wollte nicht. Um sich, mit Zoé Valdés' Worten gesprochen, „endlich knacken“ zu lassen, gabelt sie einen vergammelten Studenten auf, von dem sie sich den Eingriff auf der Stelle besorgen läßt. Danach bringt sie dem Verräter die freudige Botschaft. Später, während der Pariser Zeit, ist sie von ihm gequält worden, mußte die attraktive Ehefrau spielen, und das nimmt sie ihm noch übel. Vergessen die Zeit, da sie sich von ihm an seiner Schreibmaschine verführen ließ.

Eine Freundin Yocandras, die Kuba verlassen und in Spanien geheiratet hat, schickt einen langen Brief, in dem sie mitteilt, daß in Spanien die Dinge des Alltags zwar alle funktionieren, daß die Freundin dort aber keinen guten Sex hat.

Wohingegen Yocandra in Kuba, wo rein gar nichts funktioniert, außergewöhnlich guten Sex hat. „Wir überleben mit sumpfigen oder wegen Reparatur geschlossenem Magen. Nichts existiert. Nur die Partei ist unsterblich.“

Von der ersten bis zur letzten Seite zieht sich durch diesen Roman die Spannung zwischen dem deprimierenden Öffentlichen und dem euphorisierenden Privaten. Yocandra, heißt es einmal, „lachte, um nicht zu sterben am Übermaß verordneten Lebens“.

Das achte Kapitel hat Zoé Valdés dem Autor des Romans „Paradise“, José Lezama Lima, gewidmet, der nicht zuletzt durch seine erotischen Beschreibungen Aufmerksamkeit erregte. Und in diesem achten Kapitel treibt Yocandra es mit dem Nihilisten, einem Filmregisseur, und Zoé Valdés nimmt es mit allen Männern und Frauen auf, die über Sex und Erotik geschrieben haben. Unter anderem schreibt sie eine detaillierte Liebeserklärung an das männliche Geschlechtsteil nieder. „Sein Schwanz ist das achte Weltwunder und hat gute Aussichten, auf Platz 1 der Rangliste der größten Privatvermögen dieses Jahrhunderts zu gelangen.“

Über mehrere Seiten wird der Liebesakt mit dem Nihilisten zelebriert, einschließlich dem Höhepunkt für Yocandra, dem Steppnahtfick. Doch dank Vaposan und chinesischem Tigerbalsam ist auch dies noch nicht der Höhepunkt. Jedoch ist das achte Kapitel der Höhepunkt dieses Buches, da es Lust auf Leben und Liebe und stundenlangen Sex versprüht. „Ich brauchte ,the big love‘, ich wollte vor Liebe sterben, vor Liebe leben, mich zerfetzen. Ein Kerl, der mich fertigmachte, und ich ihn.“

Schließlich gelingt es Yocandra auch, dem Verräter etwas heimzuzahlen. Denn er klingelt nach dem Liebesakt mit dem Nihilisten bei Yocandra, und ihm bleibt nicht verborgen, was die beiden gerade getrieben haben.

In diesem hervorragenden Roman bleibt Yocandra politisch und beruflich unglücklich in Kuba zurück, aber privat ist sie bestens ausgefüllt. In der Wirklichkeit hat es die Autorin dieses Meisterstücks, die 37jährige Zoé Valdés, im vergangenen Jahr doch noch geschafft, die ungeliebte Heimat zu verlassen. In Kuba wird ihr Buch nicht verkauft. Und doch ist „Das tägliche Nichts“ eine widerspenstige Liebeserklärung an Kuba, eine Heimat, in der man nicht mehr leben kann.

Zoé Valdés: „Das tägliche Nichts“. Aus dem kubanischen Spanisch von Klaus Laabs. Ammann Verlag 1996, 160 Seiten, 32 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen