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Was macht der Deutsche im Wald?

■ „Drache, Stern, Wald und Gulasch“, ein Symposium zu nationalen Symbolen

Der freundliche Ungar ißt zu Zigeunerweisen Gulasch, der stolze Spanier ist ein erzkatholischer Stierkampffreund und der ordentliche Deutsche liebt den Wald. Das trifft zwar meistens auf niemanden zu, den man kennt, aber insgesamt ist es eben so. Einzelne Kulturmerkmale werden zum festen Fremdbild der Völker, gleichzeitig sind diese Stereotypen oft sogar identitätsstiftender Bestandteil der Selbstwahrnehmung und der Tourismuswerbung.

Während die Europawoche mit nationalen Freßständen und bunten Prospekten solche Klischees vor dem Rathaus vermarktet, befaßte sich am Samstag im Museum für Völkerkunde ein Symposium mit dem Titel Drache, Stern, Wald und Gulasch vor leider nur einer Handvoll Interessierten mit populären Mythen und Symbolen aus verschiedenen Ländern.

Daniel Bein gab einen Abriß über ungarische Klischees von den bösen Hunnen zur Bastion des Christentums, von den Husaren im Türkenkampf zum Zigeunerbaron und korrigierte zugleich die ungarisch-deutsche Geschichte bis hin zur „Wende“.

Im undurchdringlichen Wald schilderte einst Tacitus die wilden Germanen, und seitdem ist diese Verbindung gerne benutztes Bild barbarischer Deutscher, wie Klaus Schriewer berichtete. Als wichtigste Rohstoffquelle bis 1800 und seit der Romantik als deutscher Mythos ist der Wald über die nationale Vereinnahmung und die NS-Ideologie bis zu den Grünen tatsächlich ein besonderer Bezugspunkt deutscher Identität und fremder Ängste. Manche Miteuropäer vermuten sogar hinter dem ökologischen Engagement germanische Naturmystik und neuen Chauvinismus.

Den roten Drachen der Waliser behandelte Richard Dietrich. Seit dem 8. Jahrhundert kündet der Mythos vom Sieg des roten „Draig“ über das weiße Wappentier der Angelsachsen. Doch leider zerfleischt nach der Legende der Drache sich selbst, kaum daß er nicht mehr angegriffen wird, ein mahnendes Symbol der streitbaren Waliser im Kampf gegen englische Dominanz.

Dorothea Schell berichtete von der Erfindung und erstaunlichen Durchsetzung eines vollkommen neuen Nationalsymbols in Griechenland seit 1991: der Sternensonne von Vergina. Mit im Ausland unverstandener Härte wurde die historische Konstruktion, alleiniger Erbe des hellenischen Altertums zu sein, gegen den neuen, ex-jugoslawischen Staat „Mazedonien“ behauptet. Die 16strahlige Sternensonne, die man 1977 bei der Freilegung des Grabes Philipp II., dem Vater Alexander des Großen, im griechischen Teil Makedoniens entdeckte, wurde das zentrale Identifikationsobjekt in dieser Auseinandersetzung. Als der neue „Staat von Skopje“ das Zeichen zum Wappen nahm, eskalierte der Konflikt bis zur Handelsblockade.

Am Beispiel spanischer Feste zeigte schließlich Bernd Schmelz, wie unter dem scheinbar eindeutigen Etikett eines Kirchenfestes ganz unterschiedliche Interessen zum Zuge kommen, so daß ein solches Ereignis auch gegen den Willen der Kirche stattfinden kann. Das wurde abschließend zu einem Bild aller Kulturstereotypen: oberflächlich betrachtet stiften sie erste Zuordnungen. Wichtig ist aber, dem Anschein nicht zu glauben und zu studieren, welches komplexe Paket von Sichtweisen nationaler Geschichte jeweils damit etikettiert wird. Hajo Schiff

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