: Auf Wissenschaftsmission nach Moskau
Scientology ist mittlerweile auch in Rußland auf dem Vormarsch. Die Organisation überzieht die einstige Großmacht mit einem Netz von Niederlassungen, infiltriert Verwaltungen und dringt sogar in die Rüstungsindustrie ein ■ Von Frank Nordhausen
Den Lesesaal der renommierten Fakultät für Journalismus an der Moskauer Universität zierte einst die Büste Lenins. Heute glänzt an gleicher Stelle der Bronzekopf eines ausländischen Science-fiction-Autors. Kapriole der Geschichte: Hier ehrt man jetzt L. Ron Hubbard, den Gründer der berüchtigten Scientology-Organisation. Der Dekan der Fakultät, Jasen Zasursky, verlieh dem Sektenchef im März 1992 sogar posthum noch einen Doktortitel. Dafür stapeln sich in den Regalen Hubbard-Bücher wie „Der Weg zum Glücklichsein“ oder „Dianetik“. Und das, obwohl der 1986 verstorbene Scientology-Boß von Journalisten wenig hielt und sie lebenslang als „Unterdrückte“ oder „Chaoshändler“ beschimpft hatte.
Wer an der Moskauer Uni gegen den Hubbard-Kult aufmuckt, bekommt offenbar Probleme. So erging es einem Mitarbeiter der journalistischen Fakultät, Alexander Dworkin (40), der heute als Professor an der Russisch-Orthodoxen Universität in Moskau lehrt. „Ich regte an, auch Hubbard-kritische Bücher in die Bibliothek zu stellen“, berichtet er, „das kostete mich den Job.“ Dworkin gehört inzwischen zu den wenigen Fachleuten in Rußland, die die rasant wachsende Sektenszene beobachten. Er sagt: „Scientology ist unglaublich erfolgreich und macht in Rußland höhere Profite als irgendwo sonst auf der Welt.“
Das Erfolgsrezept ist vergleichsweise simpel und beruht auf einer geschickten Reklamestrategie. Der Psychokonzern tritt in der Öffentlichkeit nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als Verfechter einer „wissenschaftlichen Methode der Dianetik“ auf, die als westlich, modern und karrierefördernd gepriesen wird. Die Organisation kauft ständig Werbezeiten in Funk und Fernsehen und verbreitet die Botschaft ihres „Gründers“ millionenfach in farbigen Plakaten, Broschüren oder Zeitungsbeilagen – etwa in der Wochenzeitung Sobesednik. Mit durchschlagender Wirkung: Allein im Moskauer Dianetik-Zentrum absolvierten nach Scientology-Angaben 1994 über 14.000 Menschen teure Kurse über die „totale geistige Freiheit“.
Der Vormarsch begann 1990. Interne Scientology-Direktiven forderten damals die Mitglieder weltweit auf, für die Mission in Rußland zu spenden. Führende Scientologen machten sich auf den Weg nach Osten. Ihr Motto: „Wir haben die Technologie, um Rußland wirklich zu befreien.“
Nach Recherchen Alexander Dworkins fuhren bereits im gleichen Jahr russische Prominente in die Londoner Zentrale der Sekte, darunter der Kosmonauten-General Pavel Popovich und der stellvertretende Direktor der Regierungszeitung Iswestija, Igor Andrejew. Eingeladen hatte die vorgebliche Drogenrehabilitation „Narconon“, in Wahrheit eine Scientology-Tarnorganisation. Die Folge: „Narconon“ durfte eine Filiale mit 400 Betten in Moskau bauen. Dort werden jetzt neureiche Russen abkassiert, die über Alkoholprobleme klagen. Als Gegenmittel wird ihnen der sogenannte Reinigungs-Rundown empfohlen, eine Roßkur mit stundenlangen Saunagängen und hochdosierten Vitamingaben.
Auch in den exklusiven Kreml- Kliniken, wo sich hohe Beamte und Neureiche behandeln lassen, agieren nach einem Bericht der Zeitung Twerskaja 13 zahlreiche Scientology-Ärzte und verlangen bis zu 1.000 US-Dollar pro Saunagang. Zugleich nutzen Scientologen die Hilflosigkeit der russischen Medizin, um sich als Retter der Tschernobyl-Opfer aufzuspielen. Sie behaupten, ihre Saunakuren würden „die Radioaktivität vollständig aus dem Körper spülen“. Wie Twerskaja 13 schreibt, wurden in der Kinderklinik Wasilieskoje bei Moskau im Frühjahr 1995 insgesamt 27 Tschernobyl-Kinder mehr als zehn Tage lang mit dem kompletten „Reinigungs-Rundown“ traktiert. Die kleinen Patienten klagten anschließend über Schwindelanfälle, beschleunigten Herzschlag und bedrohliche Furunkulose.
Die Sekte hat Filialen in mindestens 45 Städten
Die gefährlichen Experimente steuerte der englische Scientologe David Gaiman – kein Arzt, sondern ein Experte für Subversion, der jahrelang zum Stab des scientologischen Geheimdienstes Guardians Office gehörte. Seine Firma G&G Vitamins mit Sitz in London stellt die „Vitamine“ her, die beim „Reinigungs-Rundown“ verabreicht werden. Die seltsamen Medikamente waren in Rußland nicht lizensiert und werden – als Folge kritischer Presseberichte – jetzt erstmals amtlich begutachtet. Ende 1995 mußten die Scientologen auch die Kinderklinik Wasilieskoje verlassen. Doch Alexander Dworkin sagt: „In anderen Kreml-Sanatorien dürfen sie immer noch prominente Patienten zur Kasse bitten.“
Profite werfen aber nicht nur die ominösen Medizinprogramme ab. Scientology besitzt bereits feste Niederlassungen in mindestens 45 russischen Großstädten. Der Psychokonzern hat ein regelrechtes Imperium von „Missionen“, Dianetik-Zentren und „Hubbard-Colleges“ gegründet. Berichte über einen zunehmenden Einfuß auf Wirtschaftsbetriebe, Politiker und hohe Beamte häufen sich.
Ins Fadenkreuz der Psycho- Agenten sind neben Moskau und St. Petersburg vor allem Sibirien und die Ural-Region geraten, wo große Industriekombinate Schwermaschinen und Rüstungsgüter produzieren. Ganze Regionen mit bedeutenden Industriestädten wie Perm, Jekaterinburg, Nowgorod, Bratsk oder Irkutsk sind offenbar in Gefahr, von Scientologen dominiert zu werden.
„Die Einwohner Perms werden nicht von der Sklaverei bedroht. Wir haben alles unter Kontrolle“, erklärte Wladimir Fil der Moskauer Illustrierten Ogonjok im Frühjahr 1995. Der Bürgermeister der Millionenstadt am westlichen Ural reagierte wütend, nachdem besorgte Bürger gegen den „gefährlichen Weg“ protestiert hatten, den Perm eingeschlagen habe.
Hintergrund der Proteste: Bürgermeister Fil, der zugibt, scientologische Kurse in Rußland und Amerika besucht zu haben, will laut Ogonjok „die gesamte Stadt“ auf die „Technologie“ L. Ron Hubbards umpolen. Zu diesem Zweck stellte er den Scientologen im März 1995 ein städtisches Gebäude zur Verfügung, um darin ein „Hubbard College of Administration“ zu begründen. Wie die Illustrierte recherchierte, wurden dort schon 1995 die Direktoren und Manager von 28 staatlichen oder halbstaatlichen Firmen mit Zehntausenden von Mitarbeitern auf die krude Sektenphilosophie eingeschworen. Der Verwaltungsdirektor des größten städtischen Industriegebiets, Valentin Sedinina, unterzog sich ebenso dem Scientology-Training wie Grigorij Woltscheck, der Boß des örtlichen Fernsehsenders T-7.
Alexander Dworkin weiß von zwei Kombinaten aus Perm, die die bizarre „Technologie“ einführten und inzwischen auf ihrem Firmengelände ebenfalls Hubbard-Colleges eingerichtet haben. Sowohl bei der Perm Maschinenfabrik wie auch bei Perm Motoren handelt es sich um Rüstungsbetriebe mit der Klassifikation „geheim“. Perm Motoren, ein Staatsbetrieb mit 3.000 Mitarbeitern, produziert unter anderem die Antriebe für die Iljuschin-76. „In beiden Firmen gehen Scientologen heute ein und aus“, so Dworkin.
Die sogenannte Verwaltungstechnologie der Scientologen soll Unternehmen und Behörden angeblich für den kapitalistischen Konkurrenzkampf fit machen. Doch wer die „Techn“ benutzt, unterwirft sich per Vertrag der scientologischen Kontrolle und muß bis zu 15 Prozent seines Umsatzes an das „World Institute of Scientology Enterprises“ (WISE) in Los Angeles abführen, den Wirtschaftszweig der Sekte.
Trotzdem gilt nicht nur in Perm: Scientology ante portas. In Jekaterinburg konnte ein großer deutscher Konzern kürzlich in letzter Sekunde verhindern, daß seine Direktoren sich im örtlichen Hubbard-College schulen ließen. In der ostsibirischen Stadt Nowokusnezk wurden nach Informationen Alexander Dworkins alle Direktoren der großen staatlichen Firmen zum Hubbard-Seminar beordert, bezahlt wurde aus der Provinzkasse. Das russische Hubbard-College- Magazin nennt über 80 Firmen und Institutionen, in denen allein 1995 Mitarbeiter trainiert wurden, darunter Banken, Zeitungen, riesige Kombinate der Schwerindustrie, Aktiengesellschaften, Investitionsfonds und sogar die „Vereinigung der russischen Presse“ in Moskau.
„Es gibt Hunderte teils bedeutender Firmen, die inzwischen mit der Hubbard-Technologie arbeiten“, bestätigt Experte Dworkin. Scientology nutze die gewaltige Nachfrage nach modernem Management-Know-how. Der Fachmann: „Kursabsolventen erzählen uns, daß die Scientologen ihnen totale Kontrolle, unbegrenzte Profite und ungeheuren Reichtum versprechen.“ Im Gegenzug verlangte die Sekte, daß ihre Anweisungen strikt befolgt werden.
Die Folgen können katastrophal sein. Die Zeitschrift Ogonjok schilderte den Fall der Moskauer Ventilatorenfabrik Moven AG (600 Mitarbeiter). Deren Präsident Alexander Mironow absolvierte 1993 Scientology-Kurse und führte anschließend die Hubbard-Technologie im Unternehmen ein. Zunächst wurden alle leitenden Angestellten und anschließend die Arbeiter auf „Kurse“ geschickt. Wer sich weigerte, dem wurden die Prämien gestrichen. Sämtliche Arbeiter mußten „Wissensberichte“ über ihre Kollegen schreiben. Als Folge der Maßnahmen sank die Produktivität, zugleich flossen erhebliche Summen als Kurs- und Lizenzgebühren in die Scientology- Kassen.
Dann nahm die Geschichte eine überraschende Wendung. Am 25. Januar 1995 betraten Unbekannte das Büro des Fabrikchefs und erschossen ihn. Nach dem Mord wurde ein neuer Direktor eingesetzt. Er stoppte umgehend das Hubbard-Programm.
Ende 1995 mußte der ebenfalls von Scientologen geführte Moskauer Versicherungskonzern Nalko Konkurs anmelden. Auch diesen Betrieb hatten, so Dworkin, die enormen Abgaben an die Sekte finanziell erdrosselt. Doch in Scientology-Firmen werden nicht nur Gelder abgesaugt. Westliche Erfahrungen lehren, daß auch Personaldaten und geheime Produktionsunterlagen häufig an die Sekte weitergegeben werden. „Scientologen sind, entsprechend ihrem Ehrenkodex, nur der Scientology und niemandem sonst verantwortlich“, erläutert der Berliner Sektenpfarrer Thomas Gandow.
Bis jetzt haben nur wenige den Mut zur Kritik
Das ist besonders brisant, wenn die Organisation in staatliche Behörden oder sogar in Sicherheitsbereiche eindringt. Nicht nur Provinzgouverneure absolvierten Scientology-Seminare, auch Polizeiführer und hohe Offiziere des russischen Militärs trafen nach Scientology- Angaben mehrfach mit amerikanischen Top-Scientologen zusammen. Der frühere russische Vizepräsident Alexander Ruzkoj schmückte ein Interview mit der Literaturnaja Gazeta mit Zitaten aus dem Dianetik-Buch L. Ron Hubbards – kurz vor seinem Putsch gegen Präsident Jelzin!
Im Frühjahr 1995 berichtete die Nesawisimaja Gazeta, daß Scientologen die Arbeiter eines Rüstungsbetriebes in der „Nuklearstadt“ Obninsk (Klassifikation „Top Secret“) ausführlichen psychologischen Tests unterzogen hatten. Der Direktor der großen Optisch- Mechanischen Werke in Jekaterinburg – auch eine Waffenschmiede auf Geheimhaltungsstufe – gründete sogar ein Hubbard-College auf dem Firmengelände und kündigte im Juni 1995 an, er werde sämtliche Arbeiter auf die „Hubbard-Technologie“ verpflichten.
In den Moskauer Vororten Jubileiny und Kaliningrad liegen zwei abgeschirmte Wissenschaftszentren, die zivile, aber vor allem militärische Weltraumforschung betreiben. Wie Recherchen des ARD-Magazins „Panorama“ bestätigten, gelang es den Sektenleuten in Jubileiny offensichtlich, Mitglieder aus dem Zentralen Wissenschaftlichen Forschungsinstitut Nr.4 zu werben. Dort werden die strategischen Atomraketen Rußlands entwickelt.
Alarmierende Nachrichten kommen auch aus Sibirien. Eine offizielle Broschüre der geheimen sibirischen „Atomstadt“ Krasnojarsk-26 vom Dezember 95 wirbt ausdrücklich für das dortige Hubbard-College. In Krasnojarsk-26 wird waffenfähiges Plutonium hergestellt. „Sollten es Scientologen schaffen, in das russische Raumforschungsprogramm einzudringen, lassen sich die Gefahren für die Welt nicht einmal annähernd abschätzen“, kommentiert der englische Ex-Scientologe Jon Atack diese Vorgänge. Nur wenige wagen es, Scientology und andere Kulte in Rußland öffentlich zu kritisieren. Am 9. Dezember 1995 starb der wohl bekannteste Sektenkritiker Rußlands, der Duma- Abgeordnete Witalij Sawitsky, bei einem Verkehrsunfall in St. Petersburg. „Das war ein merkwürdiger Unfall“, sagt Alexander Dworkin, „sicher ist: Sawitsky stand als Kämpfer gegen totalitäre Sekten vielen im Weg.“
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