: Streit um die Erblasten der Apartheid
■ Bei den Streitfragen geht es weniger um Grundrechte als um das politische Selbstverständnis von Schwarzen und Weißen
Täglich verlängerten die Chefunterhändler der Parteien in der vergangenen Woche die Deadline. Nächtelang redeten sie sich die Köpfe heiß, um am Morgen eingestehen zu müssen, daß leider immer noch kein Durchbruch erreicht sei. Der letzte Auftritt dieser Art fand am Samstag statt. Anschließend ging Südafrikas neue Verfassung in Druck, ohne daß in drei zentralen Fragen im Grundrechtekatalog eine Einigung zwischen ANC und NP erzielt wurde. Gedruckt wurde jeweils die Version, die der ANC bevorzugt.
Heute und morgen muß die Verfassung in zweiter Lesung von der Verfassunggebenden Versammlung in Kapstadt behandelt werden, damit sie am 8. Mai planmäßig verabschiedet werden kann. Der Prozeß bleibt spannend bis zuletzt, denn auch gestern wurden wieder Gespräche aufgenommen. Im äußersten Fall ist es sogar möglich, daß noch zur Abstimmung am Mittwoch die endgültigen Kompromisse nachgereicht werden. Dann steht einer Verabschiedung mit den Stimmen von ANC und NP nichts mehr im Wege. Kommt es zu keiner Einigung, ist alles offen (siehe Kasten).
Dabei geht es auf den ersten Blick um Kleinigkeiten. Jeder Staatsrechtler aus einem Land mit längerer demokratischer Tradition würde den Südafrikanern bescheinigen, daß es sich um Nebenschauplätze handelt, die in einer Verfassung ohnehin nichts verloren haben. Im Post-Apartheid-Südafrika ist die Sache jedoch komplizierter. Die Verfassung ist ein historischer Kompromiß, dem bis in kleinste Formulierungen die Schmerzen des Transformationsprozesses anzusehen sind. Was in anderen demokratischen Verfassungen meist in allgemeinen Worten formuliert und ansonsten der Gesetzgebung überlassen wird, ist in der südafrikanischen Verfassung in ellenlangen Auflistungen niedergeschrieben.
Dahinter steht der erbitterte Machtkampf von alten und neuen Regierenden. Auf die Gesetzgebung mag sich die Nationale Partei lieber nicht verlassen, denn im Parlament kann der ANC kraft seiner mehr als 60prozentigen Mehrheit jedes Gesetz durchziehen – theoretisch zumindest. Gebrauch gemacht hat er davon bislang nicht. Dem ANC sind andererseits die Hände gebunden, weil er mit der NP in einer Regierung sitzt und sich ausdrücklich zur Versöhnung bekennt. Beide Seiten mußten in dem Verhandlungsprozeß Federn lassen. Bei den drei ungeklärten Fragen geht es weniger um allgemeine Grundrechte als um Erblasten der Apartheid und das eigene Selbstverständnis. Und nicht zuletzt um Wählerstimmen.
Die Weißen fürchten um den Untergang ihrer Kultur und kämpfen daher verbissen um das Recht auf einsprachige Erziehung, um ihre Afrikaans-Schulen zu retten. Dem will der ANC nicht zustimmen und fordert das Recht auf Unterricht in allen elf offiziellen Landessprachen, so es im Einzelfall „vernünftig“ erscheint. Viele Weiße fürchten zudem, daß auf der Rassendoktrin beruhende Enteignungen rückgängig gemacht werden. Zwar wird derzeit ein umfangreiches Gesetzespaket zur Landreform vorbereitet. Dennoch drängt der ANC darauf, daß eine entsprechende Klausel in der Verfassung verankert wird.
Ebenfalls keine Einigung wurde bislang über das Recht auf Aussperrung erzielt. Zwar konnte der ANC durchsetzen, daß das Streikrecht festgeschrieben wird – ein Tribut an die Verdienste der Gewerkschaften im Befreiungskampf. Seine Haltung in der Aussperrung ist jedoch eher unentschieden. Letztlich wiegt (noch) die Rücksichtnahme auf den politischen Bündnispartner stärker als die auf die Interessen der Unternehmer. Jetzt soll die Aussperrung nach Vorschlag des ANC nicht wörtlich in die Verfassung, es soll jedoch auf die entsprechende Arbeitsgesetzgebung verwiesen werden. Und die sieht Aussperrung ausdrücklich vor.
Sieht man von diesen Streitfragen ab, bleibt ein Dokument, das den internationalen Vergleich nicht scheuen muß. „Die fortschrittlichste Verfassung der Welt“, als die der Vorsitzende der Verfassunggebenden Versammlung, Cyril Ramaphosa, das Werk angekündigt hat, ist allerdings etwas hoch gegriffen. Südafrika versteht sich als demokratischer Staat, der die Prinzipien der Gewaltenteilung beachtet. Vorangestellt ist ein umfangreicher Grundrechtekatalog mit einer starken Betonung der Menschenrechte. Die Provinzen bekommen sowohl größere Gesetzgebungskompetenzen als auch mehr Rechte in der Nationalversammlung. Die bisherige zweite Kammer, der Senat, soll durch einen „Rat der Provinzen“ ersetzt werden, der Gesetzesvorhaben blockieren kann.
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