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Wrocklage zur Ordnung rufen

■ Professor der Polizeihochschule warnt vor neuem Hamburger Polizeirecht: „Willfähriges Instrument gegen Randgruppen“ Von Silke Mertins

Wird es zukünftig in Hamburg reichen, kriminell dreinzublicken, um von der Polizei mit einem Aufenthaltsverbot belegt zu werden? Die von Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) geplante Verschärfung des Polizeirechts ist juristisch wie politisch höchst bedenklich, urteilten gestern Experten auf einer Anhörung der GAL-Fraktion. Wrocklages Gesetzesentwurf, den er aufgrund massiver SPD-Kritik bereits gehörig abspecken mußte, soll am Mittwoch in die Bürgerschaft eingebracht werden. Er sieht vor, daß künftig allein die Wiederholungsgefahr einer Straftat reichen soll, um etwa mutmaßlichen Mitgliedern der Drogenszene ein Aufenthaltsverbot (Platzverweis) zu erteilen.

Das verschärfte Hamburger Polizeirecht „ist nichts anderes als eine rechtsstaatlich bedenkliche Scheinlösung“, urteilte Professor Ulrich Stephan von der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen. „Der Entwurf baut Bürgerrechte ab – schleichend, fast heimlich.“ Das Sicherheits- und Ordnungsgesetz müsse mit „höherrangigem Recht“, nämlich den Grundrechten, vereinbar sein. Und das Grundgesetz garantiert Freizügigkeit und Verhältnismäßigkeit. Doch die Verschärfung des Polizeirechts sei weder verhältnismäßig noch geeignet, das Drogenproblem zu bekämpfen, so der Polizei-Hochschullehrer.

Besonders gefährlich sei es, „wenn aus kriminellem Verhalten in der Vergangenheit auf die Zukunft geschlossen werden kann“. Damit könne das Polizeirecht ein „willfähriges Instrument gegen Randgruppen wie Drogenabhängige, Punks, Stadtstreicher“ werden, warnt Stephan.

„Die geplante Änderung schafft keine Klarheit“, zweifelte auch der Hamburger Jugendrichter Joachim Katz an der Zweckmäßigkeit schärferer Gesetze. Sie führe lediglich dazu, daß „gezielt ausländische Jugendliche abgegriffen“ würden. Während die Juristen sich vor allem davor gruseln, daß Wahrscheinlichkeit und Wirklichkeit einer Straftat zu nah beieinander liegen, warnten Vertreter sozialer Einrichtung vor allem vor fatalen gesellschaftlichen Folgen. „300 bis 500 Junkies leben in St. Georg“, so Rainer Schmidt von der Drogenhilfeeinrichtung Palette, „für die bedeutet ein Aufenthaltsverbot praktisch Hausarrest.“

„Wie definiert man eigentlich 'Bürger' in diesem Land?“ fragt sich Ola Jide Akimyosoye, Sozialarbeiter und Vorsitzender der Afrikanischen Union. „Schwarze, Flüchtlinge, Junkies – das sind doch auch Bürger!“ Mit der Verschärfung würde bei den Polizisten ein Feindbild aufgebaut, statt die tatsächlichen Probleme zu lösen. Vorschläge, mit den als Frontdealer mißbrauchten Jugendlichen zu arbeiten und Streetworker einzusetzen, seien vom Senat abgeschmettert worden.

Statt „mit der Schrotflinte auf Spatzen zu schießen“, kritisiert der Hamburger Kriminologe Werner Lehne, „könnte die Polizei auch eine sinnvolle Rolle spielen“. Doch das, so Jugendrichter Katz, „erfordert Phanatsie – und davon haben wir alle viel zu wenig“.

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