: „Ein halbes Jahr noch und dann: Good bye, Rußland“
■ Übersetzerin Irina Batajewa (28) hat genug von den Hungerlöhnen in Rußland
Irina Batajewa steht morgens früh auf und schlüpft in ihren Trainingsanzug. Dann läuft sie ein paar Runden im Park, macht ein wenig Gymnastik und stellt sich zu Hause unter die kalte Dusche. Die 28jährige will gut in Form bleiben.
Irina ist zur Zeit arbeitslos, gelernt hat sie Übersetzerin. Schon in der Schule hat sie ihre Vorliebe für Fremdsprachen entdeckt. „Damals träumte ich davon, einmal nach Oxford zu gehen“, sagt sie. Nach der Schule, die sie mit Auszeichnung abschloß, begann Irina mit einem Englisch-Studium an der Universität von St. Petersburg. 1990 machte sie ihr Übersetzerdiplom, wiederum mit hervorragenden Noten. Noch im gleichen Jahr fand sie eine Arbeit, als Referentin in einem ausländischen Generalkonsulat. Dort verdiente sie umgerechnet 120 Dollar im Monat – für damalige Verhältnisse in Rußland ein guter Lohn. Irina kaufte sich einen gebrauchten Lada. So, mit tollen Klamotten, einem fahrbaren Untersatz und einem anspruchsvollen Job, verbunden mit der Möglichkeit, ins westliche Ausland zu reisen, fühlte sich Irina wie eine Königin.
„Ich hatte viele interessante Angebote von westlichen Firmen. Die habe ich aber alle abgelehnt, weil ich meinen sicheren Arbeitsplatz nicht aufs Spiel setzen wollte“, erzählt Irina. Mittlerweile, nach vier Jahren, hat die junge Frau aber festgestellt, daß ihr Lohn, der jetzt umgerechnet 180 Dollar beträgt, nicht mal für das Nötigste reicht. Bloß hat sie jetzt keine anderen Perspektiven mehr. „Aus einem Attaché kann mit den Jahren ein Botschafter werden, aus einer jungen Referentin aber nur eine alte“, lacht Irina.
Seit zwei Jahren ist sie nun arbeitslos und sucht einen neuen Job. Dabei muß sie feststellen, daß ihr Englisch sowie die Computer- und Schreibmaschinenkenntnisse kaum etwas nützen. Mit diesen Qualifikationen kann in Rußland mittlerweile jede zweite aufwarten.
Trotzdem gibt sie nicht auf. Sie schickt regelmäßig Bewerbungen ab und gibt Annoncen in Zeitungen auf. Sie lebt von dem, was sie mit gelegentlichen Übersetzungen verdient. Beim Arbeitsamt registriert ist sie nicht. „Als Referentin oder Sekretärin würde ich vielleicht etwas finden, aber das ist eigentlich nichts für mich. Da verliere ich nur meine Qualifikation. Außerdem habe ich keine Lust, mich ständig von irgendwelchen Chefs begrabschen zu lassen. Es als Lehrerin zu versuchen, hat auch keinen Sinn, da krepierst du vor Hunger“, sagt sie, wohlwissend, daß ihr der Unterricht einen Monatslohn von umgerechnet 100 Mark einbringen würde.
Viele ihrer Freunde sind inzwischen in die USA ausgewandert. Jetzt denkt auch sie darüber nach, Rußland den Rücken zu kehren. „Dort habe ich mehr Möglichkeiten, und außerdem habe ich die Nase voll von diesem Land. Ein halbes Jahr suche ich noch, und dann: Good bye, Rußland.“ Maxim Korshow, St. Petersburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen