■ Nach der gescheiterten Fusion Berlin-Brandenburg steht plötzlich das gesamte Gemeinwesen als verostet da: Juhnke ist schuld
Wäre der Berliner vom Dienst, unser aller Harald, nicht ausgefallen – es wäre alles anders gekommen. Er hätte die Fahne hissen können, unter der sich selbst Uckermärker und Zehlendorfer verbinden. Mit einigen Umdrehungen in der Birne hätten wir im Einklang mit der Wilmersdorfer CDU „ein starkes Stück Preußen“ halluziniert. Kopf und Bauch hätten doch noch zusammengefunden.
Doch der Harald hat versagt, ist nicht auf einer Priegnitzer Ziege durchs Brandenburger Tor geritten, mit einer Flasche Potsdamer Rex-Pils in der Hand. Er folgte seiner sattsam bekannten Neigung – und eben nicht der Pflicht. Und obwohl man sehen kann, wohin das mit ihm führt, hat es ihm die Mehrheit der Landeskinder am Sonntag gleichgetan. Sie haben, wie der hochgewichtige Günter Jauch am Sonntag abend sagte, „die Politiker im Stich gelassen“. Es wird also hohe Zeit, daß sie sich ein anderes Volk suchen.
Vergeblich ist also der Berliner Regierende über die Felder seines „Umlandes“ gestapft und hat den verdutzten Fenchelbauern erklärt, daß sie doch zu sehr mit dem Bauch dächten und zuwenig mit dem Kopf. Das hatte denen gerade noch gefehlt, daß man bei ihnen die Dumpfheit und bei den Berlinern die rasche Intelligenz ausmacht! Das war, als hätte Diepgen sie mit seinem Dienst-Mercedes überrollt.
Vergeblich auch die annähernd sieben Millionen Mark für die fähnchenschwingenden Nackedeis, all die von den Staatskanzleien verordneten Frühschoppen und die Schreisoli der Regine Hildebrandt auf leergefegten Marktplätzen! Nun hat die deutsche Hauptstadt kein Geld mehr, ihre Springbrunnen anzudrehen, und trotzdem keinen Quadratmeter Brandenburger Territorium hinzugewonnen.
Vergeblich schließlich der Einsatz der Stolpeschen Wunderwaffe kurz vor dem Fehltritt seiner Landeskinder: die Androhung von Liebesentzug. Warum sind sie nicht in Scharen vor seinen Schreibtisch gezogen und haben seinen Hosensaum mit ihren Tränen benetzt? Wahrscheinlich ist es doch nicht die Liebe zu Papa Stolpe, die ihm bis dato die Regentschaft sicherte, sondern die schlichte Gleichgültigkeit von Leuten, die nicht mehr viel zu verlieren haben.
Am frühen Abend der Entscheidung war für die Berlin-Brandenburgische Politelite klar – nicht eben originell, aber vielfach erprobt seit dem 3. Oktober 1990: Da war die DDR dran schuld! Je töter die ist, desto gemeiner wird sie! Die Brandenburger hätten gewissermaßen immer noch nicht geschnallt, daß die DDR passé sei und fürchteten stur vor sich hin, die Bananen, die inzwischen auch in uckermärkischen Supermärkten gammeln, würden nach der Fusionsabstimmung stracks wieder nach Berlin verladen. So tief hat die Diktatur in diesen klaren Seelen geaast, daß sie jetzt noch ganz verwirrt sind davon.
Je später der Abend, desto offensichtlicher wurde aber: Hier hat eine Mehrheit im Osten gemeinschaftlich gegen den Westen abgestimmt (denn warum sollten Ostberliner unter einem DDR-Hauptstadtsyndrom leiden?). Sie haben wissen lassen, daß man ihnen mit staatstragenden Projekten mal im Mondschein begegnen kann. Wem so mitgespielt wurde wie vielen Ostlern, der ist für Wiedervereinigungen „von oben“, für die man von den Herrschaften nur noch „geworben“ oder „bekehrt“ werden muß, verloren.
Außerdem ist es schwerlich zu verstehen, wieso man als Ostberliner den Westlern beistehen sollte, sich Brandenburg nun auch vermittels des Fusionsrechts unter den Nagel zu reißen. Als ob der Einigungsvertrag dazu nicht gereicht hätte!
Zwischen all dem Länder- Hochzeits-Kitsch, den verlogenen Prophezeiungen und der tristen Heimattümelei trat in den Reihen der Fusionisten nur eine ehrliche Haut in Erscheinung – Klaus Rüdiger Landowsky, der Fraktionsvorsitzende der Berliner CDU (ein absolut verläßlicher Gegner der deutschen Einheit). Er sprach von den Dingen, um die es wirklich ging, nämlich von Machtinteressen. Er fürchtete bei einer Fusion „die weitere Verostung“ seines Zehlendorf. Nicht bedacht hatte er wohl, wie verostet plötzlich das gesamte Gemeinwesen dastehen würde, wenn die Landesbildung an der konzertierten Aktion der Ostdeutschen platzt. Genau das ist geschehen.
Die Ossis haben Flagge gezeigt – mit uns geht nichts, und ohne uns auch nichts. Und als nächstes werden sie die Einführung des Pioniergrußes ertrotzen – aber nur für Westberlin.
Das ist ein Sieg der PDS auf der ganzen Linie, wie sehr ihr Vorsitzender Lothar Bisky am Sonntag auch nicht gesiegt haben wollte. Nicht für, aber mit der PDS haben so viele Ostberliner und Brandenburger gestimmt wie noch nie. Je jünger, desto lieber. Obwohl die Partei ein Drittel ihrer Klientel an die Vereinigungsbefürworter verloren hat, wurde ein kleines Fingerhakeln Stolpe gegen Bisky beinahe am Rande entschieden: Bisky ist der bessere Ossi. Stolpes Alptraum ist wahr geworden – und er wollte doch nie „ein PDS-Bundesland“ regieren!
„Irgendwie“ haben natürlich alle gewonnen. „Berlin bleibt frei“, wie die Westberliner CDU vorausgesagt hatte. Und in Brandenburg bleibt „ein Stück unverfälschte DDR erhalten“, wie es Eberhard Diepgen bei seinen Ausflügen ins Grüne kennen- und schätzengelernt hat.
Sein Gutes hat das alles auch für Stolpe – er ist dem puren Horror entgangen. Nach einer geglückten Fusion wäre augenblicklich der berlin-brandenburgische Wahlkampf ausgebrochen, in dem man ihn wie eine rinderwahnsinnige Kuh durch die Westberliner Gassen geprügelt hätte.
Jetzt hat jeder wieder im eigenen Land zu tun: Manfred Stolpe muß abermals eine Pirouette drehen und auf seinen „Brandenburger Weg“ zurückfinden, von dem er leichtfertig gewichen war. (Schon am Abend nach der Abstimmung log er sich die Niederlage in ein „Bekenntnis der Bürger für Brandenburg“ um.) Berlin dagegen muß weiter den Ost-West- Haß pflegen. Es folgt darin dem Lummerschen Motto vom Abstimmungsabend: „Wir gehören alle zusammen – das hat sich mal wieder nicht gezeigt.“
Die elitäre Kaste der Projektemacher hat sich am Abend des 5. Mai als schlechte Verliererin erwiesen. Leute, die einen herrlichen, trockenen Sekt in der Flasche lassen, nur weil ihnen eine lumpige Abstimmung schiefgelaufen ist – wie kann man denen über den Weg trauen? Mit Harald wär' das nicht passiert. Mathias Wedel
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