: Nur der Umzug kann das Gewicht Berlins retten
■ Die große Koalition hat ihren Vorrat an sinnstiftenden Projekten verbraucht
Peter Radunksi, der sich seit seinem Amtsantritt als Senator bemüht, den Überblick über die Berliner Kultur- und Wissenschaftslandschaft zu behalten, gab sich nach dem Scheitern der Fusion milde. „In grundlegenden Dingen“, so redete der einstige CDU- Wahlkampfmanager das Desaster schön, „folgen die Berliner Eberhard Diepgen noch immer.“ Ein Glück, daß Senatoren nicht auch noch Geschichtsbücher schreiben. Denn die Bilanz der Großen Koalition und ihres Regierenden Bürgermeisters sieht nach dem 5. Mai trübe aus – trotz des Umstandes, daß die (West-)Berliner mehrheitlich für die Länderehe stimmten.
Von den großen Plänen, die der Senat verwirklichen wollte, ist kaum etwas geblieben. Den Anfang machte 1993 das Internationale Olympische Komitee, das die Bewerbung für die Spiele kurzerhand erledigte. Wie die Länderehe sollte die Olympiade der Metropole den Weg ins Jahr 2000 weisen.
Mit dem Scheitern der Fusion hat sich der Vorrat an sinnstiftenden Projekten fast schon erschöpft. Die Verwaltungsreform oder der zwischen Berlin und Potsdam umstrittene Bau eines neuen Großflughafens in Brandenburg sind spröde, technokratische Vorhaben. So bleibt dem SPD/CDU-Senat allein das Projekt Hauptstadt als Überlebensquell. Das soll nun wettmachen, was schon der Fusion vorbehalten war: für mehr Arbeitsplätze zu sorgen und das politische Gewicht der Stadt in der Republik zu erhöhen.
Der Verweis auf bessere, glücklichere Zeiten ist im Sinne der Protagonisten von CDU und SPD nur allzu verständlich. Jedes politische Bündnis braucht etwas, an das es sich klammern kann. Wäre da nicht das Bonner Versprechen, trotz aller Stoßseufzer an die Spree zu ziehen, die 3,5-Millionen-Metropole würde unweigerlich immer weiter ins Provinzielle abgleiten. Daran kann auch Eberhard Diepgen, der schon die Maueröffnung seinem Amtsvorgänger Walter Momper (SPD) überlassen mußte und sich mit einer geglückten Fusion im Geschichtsbuch verewigen lassen wollte, kein Interesse haben. So wird wohl oder übel weiterhin in Berlin der Politikstil dominieren, der allzu oft nach den plakativen Mustern von „Schöner Wohnen“ daherkommt.
Vom Umgang mit dem Finanzloch, das die Hauptstadt auf Abruf in den letzten Monaten bis zum Überdruß quälte und spätestens im Herbst mit der Haushaltsdebatte '97 wieder beschäftigen wird, kann dieser Senat allein nicht leben. Als mickriger Schuldenverwalter, soviel ist sicher, wird Diepgen dann doch in die Annalen eingehen. Severin Weiland, Berlin
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