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Krankenhäuser im Würgegriff der Kassen

■ Kliniken sollen 300 Millionen Mark einsparen. Alte Menschen dürfen nur noch 28 Tage im Krankenhaus bleiben

Auf Druck der Krankenkassen sollen die Berliner Krankenhäuser in diesem Jahr 300 Millionen Mark einsparen. Das sind fünf Prozent ihres Gesamtetats von sechs Milliarden Mark. Die Verhandlungen zwischen der Berliner Krankenhausgesellschaft, in der auch die Gesundheitsverwaltung vertreten ist, und der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen zogen sich gestern unerwartet lange hin und dauerten bei Redaktionsschluß noch an.

Anfang April hatten die Kassen vier städtischen Krankenhäusern mit der Kündigung des Versorgungsauftrages gedroht – ein Schuß vor den Bug, weil die Krankenhauskosten in Berlin höher sind als in Westdeutschland. Jetzt sollen die Einsparungen auf alle Krankenhäuser der Stadt verteilt werden.

Auf das Auguste-Viktoria- Krankenhaus in Schöneberg entfallen sechs bis sieben Millionen Mark. „Wie wir das einsparen sollen, wissen wir noch nicht“, stellt Jürgen Mendner fest, der dort für die Kostenkontrolle zuständig ist. „Aber Einsparungen in dieser Größenordnung sind ohne Leistungseinschränkungen nicht aufzufangen“, sagt er.

Krankenhäuser, die bei der Verweildauer ihrer Patienten über dem Durchschnitt liegen, sollen künftig finanziell dafür büßen. Insgesamt sollen auf diese Weise 60 Millionen Mark eingespart werden. Ein Bettenabbau in den geriatrischen Abteilungen soll weitere 26 Millionen Mark Ersparnis bringen. Die Zahl der Betten für alte Patienten soll von 2.400 auf 2.000, möglicherweise sogar auf 1.500 verringert werden.

Auf scharfe Kritik der Bündnisgrünen stößt die Regelung, wonach alte Patienten nur noch maximal 28 Tage im Krankenhaus behandelt werden sollen. Danach darf ein Geriatriepatient nur noch 10.000 Mark Kosten verursachen. Dies entspricht einer Liegezeit von 28 Tagen. Danach soll der Patient in ein Kranken- oder Pflegeheim überwiesen werden. „Das ist ein direkter Eingriff in die ärztliche Entscheidungsfreiheit“, kritisierte der bündnisgrüne Gesundheitsexperte Bernd Köppl. Krankheitsverläufe bei alten Menschen seien kaum steuerbar. Wann ein Patient entlassen werden könne, müsse der Arzt verantworten. „Das ist auch eine ethische Frage.“

Köppl kritisierte, daß mit dem Sparpaket „allein die Finanzklemme der AOK zur Richtschnur der medizinischen Versorgung“ gemacht werde. „Die Kassen stellen sich nicht ihrer Versorgungspflicht. Die schielen nur noch aufs Geld.“ Die Kassen versuchen, einen Teil der Krankenhauskosten auf die Pflegeversicherung oder das Land Berlin abzuwälzen. So wollen die Krankenkassen die Nutzung des ehemaligen US-Hospitals in Steglitz für die Krankenversorgung nicht mehr finanzieren. Der Träger, das Uniklinikum Benjamin-Franklin, kann dort dann Forschungsflächen unterbringen. Dadurch entstehen dem Land Berlin aber Mehrkosten.

Mit der Umwandlung von vier Krankenhäusern in Pflegeheime, wollen die Kassen Kosten auf die Pflegeversicherung umleiten. Den von Freien Trägern geführten vier Kliniken hatten die Kassen Ende März den Versorgungsvertrag gekündigt. Gestern wurde auch darüber verhandelt, ob sie geschlossen oder in Pflegeheime umgewandelt werden. Dorothee Winden

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