: „Schwuler Judas“ an der Wand
■ Neonazi-Schmierereien an Friseurladen / Der Meister ist in Walle ein bunter Hund
„Noch kein Laden in Walle ist hier so beschmiert worden“, sagt Rolf Krükemeier. Am Montag kam der 43jährige Friseur aus einem langen Wochenende zurück, sein Sohn hatte Konfirmation gehabt, und muß auf der Scheibe seines kleinen Ladens in der Vegesacker Straße Sprüh-Schmähsprüche feststellen. „Schwuler Judas“ steht da, „Sau“ neben der Eingangstür. Ein Hakenkreuz und eine SS-Rune runden den Eindruck ab: Mit dem ganzen Register der Neonazi-Schablonen sollte hier provoziert werden. Krükemeier ist weder in Schwulenkreisen noch in der jüdischen Gemeinde engagiert, allerdings in Walle ein bunter Hund: ein kleiner Szene-Laden, in dem man auf dem „Friseur“-Stuhl alle seine persönlichen Sorgen loswerden kann, der Friseur und alle Wartenden hören gern zu. Das 12-Quadratmeter-Lädchen ist rundherum zudem mit allen politischen Sorgen garniert, die man heute so haben kann: Ein Schaubild über „Aromatherapie“ hängt da, ein Schild „Harmonie Galerie“, politische Plakate über Bildungsveranstaltungen gegen den Rechtsradikalismus, „dem Haß keine Chance“ steht da. Haß hat Krükemeier keinen, bedroht fühlt er sich eigentlich auch nicht. „Ich werde weiter Aktionen machen“, sagt er den Journalisten, die er auf die Schmierereien hin alarmiert hat und fast routiniert bedient.
„Aktionen“, das sind für den Friseur Krükemeier politische Veranstaltungen und besonders seine Schaufensterdekorationen. In der nächsten Zeit soll die Büchergilde Gutenberg in seinem Schaufenster ausstellen dürfen, kostenlos selbstverständlich: Krükemeier findet es schade, daß viele den Zusammenhang der Büchergilde mit der Gewerkschaft gar nicht mehr kennen. Irgendwie soll die Aktion auch den Vulkan-Arbeitern zugute kommen, der Friseur weiß aber noch nicht genau, wie.
„Dieses Geschäft bringt nichts ein, aber es macht Spaß“, steht auf einem kleinen Aufkleber. Immerhin lebt der 43jährige „Frisör“ seit 12 Jahren davon; die Einrichtung ist aber immer noch die alte. „Ich bin stolz darauf, ganz klein angefangen zu haben“, findet er, damals hatte er die ganze Einrichtung second hand besorgt: Haube, Stühle, Waschbecken. Dem Linoleum-Fußboden sieht er nicht mehr an, ob er damals auch schon second hand war. Leben will der Friseur nicht von seinen Einnahmen, sondern von „immateriellen Werten, die sind immerhin steuerfrei“. Davon lebt sich aber auch nicht schlecht: 25 Kunden hat der kleine Friseur täglich im Jahresdurchschnitt, sagt er, und das ganz ohne Werbung: „Ich mache nur die Aktionen.“ Und das kommt in dem Stadtteil Walle, in dem es so etwas gibt wie ein Dorf in dem Dorf Bremen, offenbar gut. Gleich drei Geschäftsnachbarn, so erzählt Krükemeier, seien am Montag gekommen, als er begonnen habe, die Nazi-Schmierereien wegzukratzen und hätten selbstverständlich mitgeholfen. Wer das gewesen sein könnte, dafür hat die Polizei genausowenig eine Idee wie Krükemeier selbst: „Noch kein Laden in Walle ist hier so beschmiert worden.“ K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen