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Lahmer als die Polizei erlaubt: Sechs Stunden brauchte der LKW mit dem Castor für die 20 Kilometer von Dannenberg bis Gorleben. Eskortiert wurde er von 9.000 Polizisten, die härter für ein strahlendes Wendland knüppelten als im letzten Jahr

Lahmer als die Polizei erlaubt: Sechs Stunden brauchte der LKW mit dem Castor für die 20 Kilometer von Dannenberg

bis Gorleben. Eskortiert wurde er von 9.000 Polizisten, die härter für ein strahlendes Wendland knüppelten als im letzten Jahr.

Roter Teppich für atomaren Abfall

Vis-à-vis von „Esso“ liegt die Schaltzentrale des Widerstands. 2.000 AtomkraftgegnerInnen durchwachen die Nacht im Camp neben der Tankstelle. Alle halbe Stunde gibt jemand über Lautsprecher durch, wo Castor gerade strahlt. Um 4.05 Uhr kommt der Muntermacher: „Der Castor ist von Uelzen aus unterwegs. Starrt nicht weiter wie das Kaninchen auf die Schlange, macht euch auf den Weg zum Verladekran.“ Ein Erfolg ist der Protest für die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg schon jetzt, denn „der zweite Castor-Transport ist teurer als der erste“. Die Mahnung: „Laßt euch nicht von der Polizei provozieren“, bekommt die Demo noch mit auf den Weg. Viele Familien aus der Umgebung und SchülerInnen folgen der Demo in Richtung Verladekran, wo der Atommüllbehälter aus La Hague vom Zug auf den Tieflader gehoben wird.

Die beiden Routen, die von der Umladestation in Richtung Gorleben möglich sind, haben 9.000 Polizeibeamte schon vorher kilometerweit in Beschlag genommen. Hier an der Verladestation beginnen zwei Schutzpolizeiketten zu den Dörfern Splietau und Quickborn hin, die Ansiedlungen längs der Strecke zwischen Dannenberg und dem Zwischenlager sind mit Polizeifahrzeugen vollgestopft.

Die Polizeiketten halten an diesem Morgen nicht lange. 3.000 Castor-Gegner stehen schon um halb fünf auf den Feldern rund um die Kreuzung. Aus Richtung Splietau, wo in Sichtweite das Hüttendorf „Castornix“ liegt, wird ein halbes Dutzend großer runder Strohballen herangerollt und angesteckt, brennend rollen sie auf die Fahrbahn. Wasserwerfer versuchen zu löschen, spritzen schon jetzt immer wieder in die Castor-Gegner auf dem Acker hinein. Schließlich zieht sich ein Teil der Polizisten zurück. Auf beiden Straßen können sich nun die Blockierer sammeln. Mindestens 5.000 sind es allein hier, als um 7.04 Uhr versucht wird, den Transport in Richtung Gorleben zu starten.

Sechs über der Bahnstrecke kreisende Hubschrauber hatten den Zug mit der hochradioaktiven Fracht von weitem angekündigt. Während der große gelbe vierfüßige Kran noch den Behälter auf den Tieflader hob, wurden an der kleinen Kreuzung schon per Lautsprecher erste Erfolge verkündet. Die Strecke in Richtung Quickborn sei inzwischen „mit Schaufel und Spaten unterhöhlt und damit unpassierbar“.

Mit dem gleichen Handwerkszeug bearbeitet eine Gruppe junger Leute zwischen brennenden Barrikaden auch die Straße nach Splietau. Doch als um 7.10 Uhr Berliner Polizisten mit der Räumung beginnen, sind sie über ein größeres Loch am Fahrbahnrand noch nicht hinausgekommen.

Egal ob die Blockierer stehen oder sitzen und dabei „Klopfe mein Herz für das Leben“ singen – diesmal trägt die Polizei sie nicht weg, sie werden mit Wasserwerfern weggespritzt. Nach dem Hochdruckstrahl kommen die Beamten. Sie drängeln erst, dann schlagen und treten sie auch. Und sie kommen doch, auf diesem ersten Drittel der 20 Kilometer langen Strecke, höchstens meterweise voran. Die von der Straße geräumten nassen Castor-Gegner kehren weiter hinten stets wieder auf die Strecke zurück.

Aus dem Lautsprecherwagen wird immer wieder nach dem Arzt gerufen. Durchnäßte DemonstrantInnen haben die chemische Keule abbekommen. Junge Frauen oder Männer, die vom Wasserstrahl Prellungen erlitten haben, bekommen keine Luft mehr. Die wütenden, durchnäßten Castor-Gegner werfen Erdklumpen, Stöcke und vereinzelt auch Flaschen oder Steine auf die Beamten. Mehr als 10 bis 15 Steine und 2 Flaschen sind es aber nicht.

Schließlich ziehen auch von der anderen Seite Behelmte und Wasserwerfer auf, werden die Blockierer in die Zange genommen. Für die ersten fünfhundert Meter braucht der von Doppelketten gesäumte Konvoi von Polizeifahrzeugen mit dem Tieflader am Ende dennoch eine Stunde. Am Ende dieser ersten fünfhundert Meter, an der Nächsten Kreuzung vor Splietau, sind schließlich neun Wasserwerfer gleichzeitig im Einsatz. Von einer „Schlacht“ und von „Krieg“ spricht die Polizei schon am Morgen; nach ihren Angaben wurde auch mit Leuchtmunition und Stahlkugeln aus Zwillen auf Beamte geschossen.

Die DemonstrantInnen hingegen registrieren einen wesentlich härteren und unnachsichtigeren Polizeieinsatz als beim ersten Castor-Transport im letzten Jahr. Die grüne Bundestagsabgeordnete Gila Altmann nennt die Arbeit der Beamten „brutal“ und spricht von „Polizeiausschreitungen“. Besonders in der Kritik: die an der Spitze des Zuges marschierende Abteilung aus Berlin. „Da heißt es immerzu nur ,Wasser marsch, Wasser marsch‘“, ärgert sich Birgit Huneke, die Chefin der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.

Auf der Polizeiseite zeigen die Aufrufe von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) und seinem niedersächsischen Kollegen Gerhard Glogowski (SPD) zu „entschlossenem Handeln“ Wirkung: Gegen 07.45 will ein Notarzt einen Demonstranten mit schwerer Kopfverletzung bergen. Doch ein Polizist am Steuer eines VW- Busses fährt der Krankentrage in den Weg. Erst nachdem der Notarzt von seinem stark blutenden Patienten abläßt und auf den Beamten einredet, gibt der den Weg frei.

Nach den Angaben der BI müssen sieben von insgesamt 20 verletzten DemonstrantInnen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Pressestelle der Polizei spricht von zehn, allerdings durchweg leicht verletzten Beamten. 30 DemonstrantInnen sollen festgenommen worden sein.

Fast fünf Stunden braucht der zweite Gorleben-Castor für das erste Drittel des Weges zum Zwischenlager. Auf dem zweiten Drittel geht es dann erstaunlich schnell. Um 13.10 Uhr erreicht der Transporter das Zwischenlager. Trecker von protestierenden Bauern hat die Polizei schon vor der Transportstrecke abgefangen und sie per Sachbeschädigung „stillgelegt“: Da wurden die Ventile der Reifen nicht aufgedreht, sondern mit Hämmern abgeschlagen oder mit Bolzenschneidern abgekniffen.

Die Gesamtzahl der DemonstrantInnen, die sich gegen den zweiten Castor „querstellten“, schätzt die BI auf 6.000. Jürgen Voges

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