: Haus-Büro-Zentrale
■ Die SPD eröffnet heute ihre neue Zentrale in Berlin: das Willy-Brandt-Haus. Zu den Bundestagssitzungen fährt man künftig im Fahrradkorso. Mächtig stolz, daß das Geld reichte
Die Hauswartsfrau in der Kreuzberger Stresemannstraße 30 ist zufrieden: „Mit der SPD hab' ich keine Probleme.“ Als vor zwei Jahren direkt nebenan die Baugrube für das neue Zentrum der deutschen Sozialdemokratie ausgehoben wurde, hatte sie oft mit den künftigen Nachbarn zu tun und weiß darüber nur Gutes zu berichten. Jedesmal, wenn sich ein neuer Riß in der Fassade ihres hundertjährigen Mietshauses zeigte, war sofort jemand da, um die Bescherung zu begutachten. Sobald sich alles gesetzt hat, soll der Schaden repariert werden. Das Land Berlin, dem die Stresemannstraße 30 gehört, läßt zur Zeit die Kosten schätzen.
Die Bauherrin ist ebenfalls zufrieden: „Mächtig stolz“, so Ingo Moll vom Büro der SPD- Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier, sind die Sozis darauf, daß sie mit der ursprünglich veranschlagten Bausumme von rund 105 Millionen Mark auch tatsächlich ausgekommen sind. „Vor allem, wenn man bedenkt, wie andere öffentliche Bauträger in Berlin rumhampeln.“
Zufrieden ist schließlich auch der Architekt: „Wenn Sie hier stehen, haben Sie praktisch das ganze Gebäude in der Hand.“ Mit sichtlichem Stolz, einer Mischung aus dem professionellen Selbstbewußtsein des Architekturprofessors und der Freude eines kleinen Jungen über sein neuestes Lego- Häuschen, steht Helge Bofinger auf dem Flur vor Oskar Lafontaines neuem Büro im fünften Stockwerk. Sein Blick geht hinunter in das Atrium, das sich im Inneren des dreieckigen Gebäudegrundrisses über alle sechs Geschosse erstreckt und nach oben hin nur von einem extrem leicht gebauten Glasdach abgeschlossen wird. Die Fensterscheiben der inneren, also in die dreieckige Eingangshalle hinein gerichteten Fassade sind an deren spitzem Ende direkt aneinandergefügt und laufen in einer nur wenige Zentimeter breiten Kante zusammen. Wer sich hinter diese Kante stellt, hat somit einen wahrlich nicht alltäglichen Blick: die rechts und links von der Spitze wegführenden Flure entlang in das Gebäude hinein, gleichzeitig aber auch in das Atrium und von dort wiederum durch die Fenster in die dahinterliegenden Büros. Eine Perspektive, die schwindlig macht und in der Tat den Eindruck vermittelt, man habe das gesamte Gebäude mit einem einzigen Blick erfaßt. Ein potentieller Lieblingsplatz für den Parteivorsitzenden also.
So kompliziert die Beschreibung der sich im Willy-Brandt- Haus bietenden Blickwinkel ausfällt, so einfach und sachlich ist eigentlich die Konzeption. Ganz im Geiste der Berliner Internationalen Bauausstellung von 1981–87, in derem Rahmen der Entwurf für dieses Grundstück ursprünglich entstand, hat Bofinger die Blockkanten wieder geschlossen, also auf die dreieckige Fläche an der Wilhelm- Ecke Stresemannstraße ein ebenfalls dreieckiges Gebäude gesetzt.
Auch das Thema „Bauökologie“ betrachtet der Baumeister streng vernunftorientiert. Von staatlichen Subventionen für ansonsten unwirtschaftliche Technologien hält er nicht allzuviel: „Das ist keine Ökologie, das ist Propaganda.“ Den wichtigsten Beitrag in Sachen Umweltschutz, so Bofinger, gibt es bei ihm sogar gratis: Durch den Grundriß, der rund vierzig Prozent der Fassade nach innen, in das Atrium hinein, plaziert, verringert sich der Energieaufwand automatisch. Auch die Verwendung von Regenwasser für die Toilettenspülungen schont das Budget der Hausherrin genauso wie den Grundwasserspiegel. Ein Blockheizkraftwerk liefert nicht nur Wärme und Strom, sondern versorgt über eine Absorptionskälteanlage im Sommer auch die im größten Teil des Hauses installierten Kühldecken, so daß sich die Investition in diese Anlage voraussichtlich nach fünf Jahren amortisiert haben wird.
Mit derlei fortschrittlicher Technik macht die SPD-eigene „Verwaltungsgesellschaft Bürohaus Berlin“ ebenso gern Reklame für ihre Immobilie wie mit den aufwendigen, technischen Installationen für Kongresse und andere Veranstaltungen. Schließlich will sie bis zum Regierungsumzug, wenn auch der Parteivorstand von Bonn nach Berlin übersiedelt, nur zwei, später dann vier Geschosse selbst nutzen.
Eigentlich wollte die Partei sich bereits Anfang dieses Jahres in ihrem neuen Domizil einquartieren, doch ganz und gar pünktlich hat auch sie ihren Umzugsbeschluß nicht realisieren können. Schon die Kaufverhandlungen für das Grundstück zogen sich in die Länge, weil man sich mit dem Berliner Senat nicht über den Preis einig wurde. 21,4 Millionen Mark lagen am Ende auf dem Tisch: für 4.500 Quadratmeter Baugrund in bester Hauptstadtlage ein ordentlicher Preis.
Vieles sprach aus sozialdemokratischer Sicht wohl auch für genau diesen Ort: Geschichtsbewußten GenossInnen dürfte die nahe gelegene Lindenstraße ein Begriff sein, wo sich bis zum Verbot durch die Nazis im Juni 1933 die SPD- Zentrale befand. „Back to the roots“ nennt es Marlies Stieglitz vom Berliner SPD-Büro, und die Presseabteilung der Partei verkündet gar, man sei nunmehr „kaum einen Sprung weit vom Regierungszentrum in der Berliner Mitte, aber schon im traditionellen Arbeiterviertel Kreuzberg“ – wenn auch selbst ausgesprochene SPD-SympathisantInnen unter Berlins StadthistorikerInnen sich wohl nicht getrauen würden, ausgerechnet diesem Teil des Bezirks eine Tradition als „Arbeiterviertel“ zu attestieren. Richtig ist aber, was auch in einem Prospekt über das Willy-Brandt-Haus ausdrücklich betont wird: daß nämlich zu den positiven Standortfaktoren auch die unmittelbare Nähe zum taz-Gebäude in der Kochstraße gehört.
Die für Berlin geplanten Institutionen von Parlament und Regierung sind von der Wilhelmstraße aus gleichfalls gut erreichbar. Die dereinst im Reichstagsgebäude stattfindenden Bundestagssitzungen können ökologisch ambitionierte SPDlerInnen bequem mit dem Fahrrad ansteuern, zumal ihnen im Tiefgeschoß der Parteizentrale 219 Velo-Stellplätze zur Verfügung stehen.
Auch Autos können natürlich im Haus geparkt werden. 102 Blechkisten finden Platz. Geplant waren ursprünglich mehr als doppelt soviel, was allerdings kein Zugeständnis an Gerhard Schröder, sondern an die Berliner Stellplatzverordnung darstellte, die seinerzeit für jeweils 40 Quadratmeter Bürofläche einen Parkplatz verlangte. Der Bezirk Kreuzberg hatte gefordert, eine Ausnahme von dieser umweltpolitisch fatalen Verpflichtung zuzulassen, womit die SPD auch ohne weiteres einverstanden war. Der Berliner Senat jedoch lehnte ab. Dafür änderte er wenig später die Verordnung, weil sich die diversen Hauptstadtinvestoren, insbesondere am Potsdamer Platz, zunehmend über die damit verbundenen, horrenden Kosten beklagten.
Auf einem anderen Gebiet ist die Berliner Legislative indes noch nicht ganz soweit: Anders als der von ihr beauftragte Architekt hält die SPD nämlich offenbar durchaus etwas von öffentlichen Zuschüssen für bestimmte Ökotechniken und hätte auf dem Dach ihrer Zentrale gern eine Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung installiert. Die entsprechende Unterkonstruktion ist bereits vorhanden, doch die teuren Paneelen sollen erst dann montiert werden, wenn der Berliner Senat die von ihm längst angekündigte Regelung zur „Rückspeisevergütung“ beschlossen hat. Dann nämlich können die GenossInnen ihren Strom zum Selbstkostenpreis von rund 1,70 Mark an die örtliche Energieversorgerin Bewag verkaufen, die wiederum die Mehrkosten auf die allgemeinen Tarife umlegen darf. Auf diese Weise sollen die Stromverbraucher die zwar umweltschonende, aber gegenüber herkömmlicher Technik im Moment noch extrem teure Solartechnik subventionieren.
An ihrem alten Standort Bonn hätte die SPD dieses Problem übrigens nicht: In Nordrhein-Westfalen ist die Rückspeisevergütung schon beschlossene Sache. Jochen Siemer
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