Friß oder stirb

■ TiK: Sven-Eric Bechtolf verfiel bei seinem Regiedebüt in Duldungsstarre gegenüber Heiner Müllers „Schlacht“

Links und rechts Backsteinmauern, schwarz. Ganz schwarz. So schwarz, wie nur die Mauern der Hölle sein können. Zwischen ihnen, nach hinten sich öffnend, die Spielfläche (Bühne: Rolf Glittenberg), ein von schwarzschraffierten Wänden begrenztes Quadrat, das durch drei mal drei symmetrisch von der Decke hängende Lampen beleuchtet wird. Ein Folterkeller, ein Schlachtfeld, ein Kleinbürger-Wohnzimmer, das alles wird dieser Ort sein. Eines wird er nicht sein: ein Spielplatz, weder für die Figuren noch für das Theater. Es ist Krieg, es bricht an die Nacht des „Dritten Reiches“. Keine Aussicht, nirgends.

Die Schlacht von Heiner Müller im TiK ist die erste Regiearbeit des Schauspielers Sven-Eric Bechtolf. Anekdoten, fragmentarisch zusammengesetzte Szenen, die von der Agonie eines verlorengehenden Krieges erzählen und vom Faschismus in Deutschland, daraus besteht das Stück. Zusammengehalten werden sie von einer Hitler-Figur, die in verschiedenen Gestalten auftritt: als Hund (der sich zuerst wie eine Katze benimmt), als Putzfrau (mit Hitler-Bärtchen), als Gnom (der die Germania penetriert), als Büste auf dem Schrank (die lebendig wird). Und geschrieben hat Heiner Müller die Szenen in einer Sprache, bei der man manchmal nicht weiß, ob ihm der Weltgeist die Feder führte oder nur ein beschwipster Reim-Kasper auf der Schulter saß.

Sven-Eric Bechtolf hat sich ins Pathos gerettet. Noch in der Starre, der Unbeweglichkeit (die oft vorkommt) läßt er die Schauspieler eine Spannung halten, die sie – so meint man – bei der geringsten Unkonzentriertheit zerreißen müßte. Hier soll Geschichte verhandelt werden. Aber bekommt der Zuschauer einen Eindruck von Geschichte? Nein – dafür einen von dem Willen und der Theater-Anstrengung, sie zu verhandeln.

Drei Soldaten erschießen einen vierten und essen ihn auf. Dann singen sie „Ich hatt' einen Kameraden“. Ein Mann erschießt seine Frau und seine Tochter (die beste Szene der Inszenierung), weil es, wie er sagt, eine Schande wäre weiterzuleben, wenn der „Führer“ tot ist. Dann ist der Mann zu feige, seiner Familie zu folgen, und lebt selber weiter. Ein Schlachter geht ins Wasser, bevor die anrückende Rote Armee ihn hängen kann. Er hatte einen abgeschossenen amerikanischen Piloten erstochen.

Statt sie uns näherzubringen, rückt Bechtolf diese und die anderen Szenen von uns weg. Das muß nicht schlecht sein. Aber statt weggerückter Szenen sehen wir allzu deutlich die Mittel des Wegrückens; die Inszenierung ist durchwoben mit einem Pathos, der auf den Zuschauer wie ein Befehlston wirkt: Friß den Müller, friß den Zweiten Weltkrieg, friß den Faschismus – oder stirb.

Gegenüber dem Theater- und Geschichts-Titanen Müller, Heiner hat die Inszenierung Duldungsstarre befallen. Andererseits: Das muß man in dieser Konsequenz auch erst einmal schaffen. Handwerklich gibt es viel zu bestaunen, die Schauspieler (herauszuheben: Justus von Dohnányi, Hannes Hellmann, Charlotte Schwab) sind klasse. Wenn nur Bechtolf das alles nicht in den Panzer einer anvisierten Müller-Musterinszenierung gesperrt hätte! Dirk Knipphals