: Sag niemals zu früh ja
■ Es gibt viele Wege, im Urlaub an ein kostenloses Dach überm Kopf zu kommen: Tips und Tricks einer bekennenden Schnorrerin Von Heike Haarhoff
Bereits die Tickets für die Fähre nach Korsika hatten uns ruiniert. Aber deshalb ganz auf den Urlaub verzichten? Doch wohl nur ein Grund für Pessimisten. Also wurden nicht bloß unerträglich schwere Rucksäcke, sondern auch das Zelt samt sperriger Eisenstangen quer über die exquisite französische Touristen-Insel gehievt. Camping ist schließlich immer noch die billigste Form des Reisens. Und schön abenteuerlich. Jean Michel freute sich. Ich nicht.
Mitte März, wenn sich in den korsischen Bergen der Schnee zentimeterdick türmt, ist es alles andere als romantisch, stundenlang über irgendwelche Straßen zu stolpern auf der Suche nach dem einzigen, bereits zur Vorsaison geöffneten Zeltplatz. Zumal der sich als gefrorener Untergrund ohne funktionierende Toiletten, dafür aber mit herzerfrischend eisigem Duschwasser entpuppte.
Als hätte der nächtliche Kampf gegen Frostbeulen nicht gereicht, fuhr uns am nächsten Morgen erwartungsgemäß der Bus vor der Nase weg – der einzige, der an diesem Tag ein schnelles Verlassen des unwirtlichen Orts in der Pampa hin in die nächste Stadt mit Hotel ermöglicht hätte. Die Stimmung folglich stieg: „Du hast diesen Scheiß-Urlaub gewollt!“ – „Nur weil Du so lahm bist, stehen wir jetzt hier rum!“ – „Schön, dann trampen wir eben!“ – „Versuch's doch, Dich nimmt ja sowieso niemand mit!“
Tat dann aber doch einer, genauer gesagt zwei Franzosen vom Festland, die vor Jahren auf die Insel ausgewandert waren. Eigentlich hatten sie freundlicherweise nur angeboten, uns am Stadtrand von Porto Vecchio abzusetzen. Dann aber entdeckten der Fahrer und Jean Michel zufällig, daß sie fast zeitgleich mehrere Jahre in demselben Ort in den Pyrenäen gelebt hatten. Selbstverständlich ohne sich jemals begegnet zu sein. Franzosen messen solchen Zufällen Bedeutung bei: Wenn man sich damals schon nicht beachtete, darf man auf keinen Fall darauf verzichten, jetzt einander kennenzulernen. Das fand ich übrigens auch, zumal die beiden uns zum Essen einluden.
Das Haus war – selbst für korsische Verhältnisse – unverschämt geräumig. Als ich von der Nacht, dem Zelt, der Kälte erzählte, bekamen unsere Gastgeber, wie erhofft, Mitleid. Wir könnten ja auch eine Weile bei ihnen bleiben. Jean Michel protestierte natürlich erstmal, wie es sich gehört.
Das ist die erste Grundregel des Schnorrens um eine Ferien-Unterkunft zum Nulltarif: Niemals sofort einwilligen. Die Gastgeber dürfen nie den Eindruck gewinnen, man wolle ihre Großzügigkeit vorsätzlich ausnutzen. Schließlich nahmen wir das Angebot natürlich doch an.
Wir haben eine wundervolle Woche miteinander verbracht. Denn, zweite Reise-Regel: Menschen, die sich selbst fremd fühlen, obwohl sie an dem Urlaubsort leben, sind meistens aufgeschlossener als wirklich Einheimische. Auch darauf achte, wer sich seine Aufenthalts-Chancen ausrechnet.
Leider ist es bisher noch nicht zu einem Gegenbesuch gekommen. Was wohl auch daran liegt, daß ich bis vor kurzem in einer Stadt wohnte, die nicht gerade als Traumziel für einen Urlaub bezeichnet werden kann: Wer also in Gegenden lebt, in die sich normale Urlauber nie verirren, kann getrost vielversprechende Gegeneinladungen aussprechen, ohne je Gefahr zu laufen, sie einlösen zu müssen. Inzwischen wohne ich in Hamburg. Ich bin vorsichtiger geworden.
Das Glück mit der Gastfreundschaft läßt sich durchaus forcieren. Jean Michel und ich haben viele Varianten getestet, und auch heute, wo wir – aus anderen Gründen – nicht mehr gemeinsam reisen, tauschen wir noch unsere taktischen Vorgehensweisen aus: Günstig, hat er mir neulich verraten, sei es zum Beispiel, Freunde oder Eltern zu haben, die ihrerseits Menschen mit Ferienhäuschen kennen. So bleibt einem das peinliche Gesuch, das Domizil vielleicht einmal nutzen zu dürfen, erspart: Das können nämlich die Freunde erledigen, die die Hausbesitzer ja ohnehin viel besser kennen.
Gute Chancen hat auch, wer bereits Menschen in der Nähe des geplanten Urlaubsziels kennt: In diesem Fall gilt es, diese Bekannten unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand anzurufen. Nach einer kurzen Plauderei lenkt man das Gespräch auf bevorstehende Urlaube. Zunächst erkundigt man sich, ob – und vor allem: wann! (für die eigene Zeitplanung) – die Bekannten denn in diesem Jahr wegzufahren gedenken. Dann gilt es, geschickt auf die eigenen Pläne zu sprechen zu kommen: Ob die Bekannten nicht zufällig eine nette, kleine Pension bei ihnen in der Nähe empfehlen könnten? Meistens überlegen diese Menschen dann, bevor sie – wenn sie gutherzig sind – sagen: „Ach, was soll das denn, ihr könnt doch selbstverständlich bei uns übernachten.“ Auch in diesem Fall nie sofort zusagen, das stimmt sie mißtrauisch.
Einmal ist mir dieser Fehler unterlaufen. Sofort argwöhnte mein Freund Alexander: „Sag mal, Du meldest dich wohl nur deswegen bei mir?“
Oft ergeben sich auch Ferienmöglichkeiten über sehr zufällige Bekanntschaften: In der Türkei sind wir vor Jahren bei einer Not-Ärztin hängengeblieben, die mich zuvor behandelt hatte. Oder neulich bei der Hochzeit meiner Freundin Katrin. Da hat sich einer der norddeutschen Tischnachbarn gleich mit Katrins Gästen aus Bayern angefreundet: Er freut sich schon jetzt aufs Skilaufen.
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