: „Wie eine Weisung, sich nicht um Schicksale zu kümmern“
■ Ulrich Zuper, Leiter der AWO-Ausländerabteilung, über den hanseatischen Umgang mit bosnischen Flüchtlingen
taz: Wenn die Innenbehörde Sieals Leiter der Ausländerabteilung bei der Arbeiterwohlfahrt fragen würde darüber, wie in Hamburg mit Flüchtlingen aus Bosnien umgegangen wird – welches Zeugnis würden Sie ihr ausstellen?
Ulrich Zuper: Die Behörde geht sehr formal an den Beschluß der Innenministerkonferenz vom 26. Januar heran und betreibt ihn sehr konsequent. Ebenfalls sehr konsequent drückt sie sich um eigene Gestaltungsmöglichkeiten.
Hätte sie denn eine Wahl?
Das Verhalten der anderen Bundesländer zeigt, daß man an nichts gebunden ist. Eine Art Mustererlaß, wie die Rückführung durch die Länder zu gestalten ist, kam nie zustande. Das einzige Land, das sehr konsequent vorgeht, ist Hamburg.
Wenn die Innenbehörde Duldungen nicht verlängert mit der Begründung, sich an die Beschlüsse der Innenministerkonferenz halten zu müssen, dann trifft das nicht zu?
Sie könnte beschließen, keine weiteren aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu verfügen; sie könnte die bereits ausgesprochenen Verfügungen zurücknehmen – diese Möglichkeiten hätte sie durchaus. Es ist aber praktisch nicht gewollt. Und es gibt darüber offensichtlich keine Diskussion.
Haben Sie eine Vermutung, warum es nicht gewollt ist?
Nein. Ich gehe nicht davon aus, daß Hamburg zum Beispiel in finanzieller Hinsicht besonders belastet ist. Der Anteil derer, die von der Sozialhilfe leben, ist mit unter 50 Prozent recht niedrig. Gleichzeitig möchten viele Flüchtlinge freiwillig ausreisen. Da ergibt sich dann manchmal die perfide Situation, daß sie nicht ausreisen können, weil sie durch bestimmte Länder nicht durchkommen. Dennoch werden Ausreiseverfügungen weiterhin ausgestellt, obwohl sie nicht zwangsweise durchsetzbar sind. Es gibt keinen direkten Flugverkehr und sie können nicht durch Österreich, Slovenien und Kroatien reisen. Und letztlich ist es wahrscheinlich auch rechtlich nicht durchsetzbar.
Müssen diejenigen, deren Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird, trotzdem persönlich dagegen klagen?
Wer auf der Basis einer Duldung eine Verfügung bekommt, dem bleibt nur der Klageweg offen, um rechtlich Schutz vor Abschiebung zu suchen. Es ist beachtlich, wieviele den Weg einschlagen. Die Situation steht im Widerspruch zu allen Bemühungen, die freiwillige Rückkehr zu fördern. Die Leute müssen vor Gericht klagen, um die Freiwilligkeit vielleicht tatsächlich zu erreichen.
Haben Sie den Eindruck, daß die Mehrheit der Flüchtlinge „zurück“ möchte, oder hoffen viele trotz anderer Beschlüsse auf ein Bleiberecht?
Viele halten eine Rückkehr in der heutigen Situation für unmöglich. Es gibt daher bereits einen großen Ansturm auf die Beratungsstellen zur Auswanderung in Drittländer. Sie sind gar nicht so sehr an den USA oder Kanada interessiert. Aber sie haben Angst, hier bald vertrieben zu werden. Mit einer Auswanderung in die USA erhalten sie sich die Option, irgendwann zurückzukehren. Und dort haben sie die Möglichkeit, selbst über den Zeitpunkt zu bestimmen. Eigentlich würden sie lieber in Europa bleiben, um Kontakte aufrecht zu erhalten. Gerade dieser Kontakt beinhaltet die Perspektive der Rücckehr. Denn die Heimatverbundenheit ist sehr ausgeprägt. Sie sind nicht freiwillig gegangen. Sie haben etwas verloren und sehen auch, daß sie wieder etwas aufbauen können. Aber nicht jetzt. Zwischen Rückkehrwunsch und subjektiver Rückkehrmöglichkeit besteht ein sehr großer Widerspruch.
Wie läßt sich das von manchen vorgetragene Argument entkräften, daß das Land trotz alledem jetzt aufgebaut werden müsse?
Es gibt genügend Flüchtlinge, die dazu bereit sind. Und wenn sie noch eine Zeit hierbleiben, werden sie bei ihrer Rückkehr wesentlich mehr investieren können als heute. Hier können sie eine Basis für ihre Existenz schaffen. Hinzu kommt, daß das ganze Land voller Minen ist, die Landbevölkerung also gar nicht in der Lage ist, etwas aufzubauen oder Rückkehrer aufzunehmen. Und die Räumung der Minen dauert Jahre. Darüber hinaus ist die Aufbauhilfe im Land selbst noch gar nicht organisiert. Man kann ja nicht nur eine bestimmte Summe bereitstellen, es müssen auch Strukturen vorhanden sein, um die Mittel zu verteilen.
Sie sagen, die Hamburger Mittel werden nicht überstrapaziert, da weniger als die Hälfte der rund 13.000 bosnischen Flüchtlinge von Sozialhilfe leben. Kann eine finanzielle Belastung ein Argument für eine schnelle Rückführung sein?
Allein Geld kann nicht der Maßstab sein. Für die meisten Flüchtlinge besteht im Moment keine Perspektive in Bosnien, zum Teil nicht einmal eine Überlebenschance. Es gibt dort fast 90 Prozent Arbeitslosigkeit, die meisten Flüchtlinge würden von ausländischen Hilfsorganisationen abhängig sein. Auch von Seiten der bosnischen Regierung gibt es zuwenig Anstrengungen, einen Aufbau voranzutreiben. Für die Rückkehrer, aber auch die Flüchtlinge innerhalb des Landes gibt es zuwenig Hilfestellung.
Wie könnte eine „Hilfestellung“ durch die Hansestadt aussehen?
Meine Wunschvorstellung wäre, daß sie die Rückführung zunächst für ein halbes Jahr zurückstellt und überlegt, wie eine Rückkehr grundsätzlich zu fördern wäre. Vor allem sollte sie den Begriff der Freiwilligkeit ernst nehmen und entsprechende Modelle fördern. Es gibt eine Reihe denkbarer Aufbau- und Reintegrationshilfen. Und wenn Aufbauleistungen und sichere Verhältnisse erkennbar sind, werden mehr Menschen freiwillig zurückgehen. Viele können jedoch nicht mehr zurück. Und einige werden das auch nicht wollen. Darüber muß man sich offen Gedanken machen. Man kann es nicht abtun mit der Begründung, daß es keine verkappte Einwanderung geben darf. Es geht um Flucht und die Unmöglichkeit der Rückkehr. Die Ausländerbehörde verfährt, als gebe es eine Weisung, sich nicht um Schicksale zu kümmern. Das grenzt ans Unmenschliche.
Fragen: Stefanie Winter
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