: Genossen weihen die Willy-Baracke ein
■ Die SPD eröffnet mit einem Fest als erste Bundespartei ihre neue Parteizentrale in Berlin. Lafontaine lacht, Diepgen patzt
Draußen wurde gefeiert, und drinnen wurde gefeiert. Aber obwohl der SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine bei der gestrigen Eröffnung der neuen Parteizentrale das „Willy-Brandt-Haus“ als „offenes Gebäude“ bezeichnete, kamen ein paar von draußen nicht rein: Demonstrierenden Punks vom nahen Tommy-Weißbecker- Haus in der Wilhelmstraße und etlichen Studenten von der Humboldt-Uni wurde der Zutritt zum kalten Büffet verwehrt. Ein paar Polizisten mußten Schutzschild spielen. Die Protestler zogen ab und konterten mit dem nicht ganz taufrischen Spruchband: „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten.“
Knapp fünf Jahre nach dem Umzugsbeschluß von Parlament und Regierung im Juni 1991 hat die SPD jedoch ernst gemacht mit der Übersiedlung vom Rhein an die Spree. Als erste „Bonner“ Partei weihte sie gestern ihre neue Bundeszentrale in Berlin ein. Bei der Feier im lichten Atrium des „Tortenstücks“ wurde gleichzeitig eine 3,40 Meter hohe Bronzeplastik des 1992 verstorbenen Ehrenvorsitzenden enthüllt, die Reiner Fetting geschaffen hatte. Unter den über 500 Gästen, darunter die alten mächtigen Männer der SPD, Egon Bahr und Hans-Jochen Vogel, fehlte allerdings eine Person: Die „schreckliche Witwe“ (Stern), Brigitte Seebacher-Brandt, ließ sich nicht blicken. Sie hat sich mit den Genossen überworfen.
SPD-Vorsitzender Oskar Lafontaine bezeichnete die Einweihung der Parteizentrale als „Signal für die Verwirklichung der inneren Einheit“ Deutschlands. Die Eröffnung sei ein „historischer Tag“, da die SPD wieder an den Ort zurückkehre, wo sie bereits einmal von 1890 bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten 1933 ihren Hauptsitz in der nahen Kreuzberger Lindenstraße hatte. Lafontaine erinnerte, daß die SPD in ihrem Statut immer daran festgehalten habe, den Sitz des Parteivorstands in der Stadt zu bewahren.
Der SPD-Boß ließ glorreiche Tage wiederauferstehen: Von 1957 bis 1966 führte Brandt als Regierender Bürgermeister die Stadt. Nach dem Mauerbau sei von ihm in der Frontstadt die Ostpolitik erarbeitet worden. „Die SPD steht in der Tradition Willy Brandts zu dieser Stadt, die wie keine andere die deutsche Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erlebt und erlitten hat“, sagte Lafontaine.
Die SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier unterstrich, daß es sich bei der Parteizentrale, die der Wiesbadener Architekt Helge Bofinger entworfen hat, um ein „Energiesparhaus“ handele. Dank der modernen Technik, die für Wärme und Klimatisierung die natürlichen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht nutze, könnten die Emissionen deutlich reduziert werden. Das Willy-Brandt-Haus wurde für 105 Millionen Mark innerhalb von 30 Monaten errichtet.
Natürlich patzte auch einer bei der Eröffnungsfete: Dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, der sich als CDUler etwas unwohl fühlte angesichts der SPD-Massen, kam die Grammatik bei seiner Begrüßungsrede ein wenig außer Kontrolle. Das machte aber nichts. Zum Lacher wurde bei den Genossen vielmehr, daß Diepgen die SPD-Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier mit „Verehrte Frau Daniel-Wettigmeier!“ ansprach. Rolf Lautenschläger
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