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Zocker-Connection

■ Tippen, Wetten und Spielen werden vom Fernsehen kräftig angetrieben. Vor allem Sat.1 ist voll im Glücksspielrausch

Was ist mit den braven Deutschen los?“, so fragte sich die erstaunte Korrespondentin der Los Angeles Times, als sie im Herbst 1994 über das Jackpotfieber zu berichten hatte. Waren über Nacht aus fleißigen und arbeitsamen Sparern verschwendungssüchtige Hasardeure geworden? Ein Studium der Fernsehprogramme hätte sie früher auf die Spur gebracht. Auf allen Kanälen wird rund um die Uhr gezockt. Recht bieder gibt sich in diesem Ensemble der Show-Primus „Wetten, daß?“, der das lockere Spiel um Vermögenswerte ja bereits im Namen führt. Tatsächlich gewettet wird dann freilich nicht. Es geht eher um die Behauptung handwerklicher Tugenden und skurriler Hobbies. Können, das die Welt nicht braucht.

Eine harte Zocker-Connection ist unterdessen auf Sat.1 angelaufen. Viele Spiel- und Gewinnshows des Senders kooperieren unmittelbar mit der Glücksspielbranche. Die Süddeutsche Klassenlotterie (SKL) hat gleich mehrere „Babies“ im großen Tele-Deal zu verwahren. Beim „Glücksrad“ hat man eigens die Spielregeln geändert, seit der generöse Werbepartner beim Telekurzworträtseln mit von der Partie ist. In der Bonusrunde erhöht sich beim munteren Kandidatenscheitern der SKL- Jackpot täglich um 10.000 Mark. Die SKL konnte ihren Umsatz 1994 um zehn Prozent auf 1,2 Milliarden Mark steigern. Die Nordwestdeutsche Klassenlotterie, viel seltener auf dem Schirm, liegt deutlich dahinter. Bei „XXO – Fritz & Co.“, der ereignisarmen Spielshow mit Fritz Egner, findet sich die Quiz-Lösung am Ende jeder Sendung unter einem SKL- Schild auf einem nagelneuen Audi. Wer danebentippt, kann seine Malaise mit einem Los der Lotterie wiedergutmachen. Wer weiß nicht, daß die SKL Millionäre macht?

Insgesamt geben die Deutschen jährlich mehr als 30 Milliarden Mark für Lotterien, Roulette, Daddelautomaten und andere Wettspiele aus. Mehrere hundert Millionen Mark, so Schätzungen, fließen zusätzlich zu Sportwettenanbietern im benachbarten Ausland. Das Finanzamt muß tatenlos zusehen, nicht jedoch Sat.1. Per Sat.1-Videotext wirbt der österreichische Marktgigant „Intertops“ für seine Wettangebote auf Fußball, Golf, Tennis und andere Sportereignisse, Spielaktivitäten, die in Deutschland verboten sind.

„Intertops“ wird mitunter auch redaktionelle Unterstützung gewährt. Als Gerüchte seinerzeit kündeten, „Fußball-Otto“ werde Bremen in Richtung München verlassen, filmten „ran“-Kameras direkt aus der Annahmezentrale von „Intertops“. Die Quotenlegung der Profis verbürgte den Nachrichtenwert, und ganz nebenbei erfuhr man auch, wann und wie man bei „Intertops“ mitspielen darf.

Unter dem Namen der altehrwürdigen „Glücksspirale“ startete Sonnyboy Kai Pflaume neulich eine neue Show, in der er seinen Gästen menschlich viel Fieses antat, ehe sie auf der Gewinnerbank Platz nehmen durften. Die „Glücksspirale“ des deutschen Lottoblocks saß als Werbepartner selbstverständlich daneben. Die Immermehr-Losverkäufer streuen ihre Glückszettel per TV unters Volk, die Branche boomt denn auch wie kaum eine andere. Nach dem Jackpotfieber legte das Zahlenlotto um 12,4 Prozent zu und ist absoluter Spitzenreiter unter den deutschen Glücksproduzenten.

Auch Super 6 und Spiel 77 hatten zweistellige Prozentzuwächse zu verzeichnen. Die Lizenz zum Zocken wird vor allem vom Fernsehen verliehen, glauben Glücksspielexperten. Es schaffe die Akzeptanz für eine Haushaltsentscheidung, die auf Unsicherheit basiert, erläutert der Wirtschaftswissenschaftler und Buchmacher Norman Albers. In seiner Studie über den deutschen Glücksspielmarkt beklagt er einen Wettbewerbsvorteil der Lotterien. „Obwohl nach 20 Uhr in den öffentlich- rechtlichen Fernsehanstalten keine Werbesports zur Ausstrahlung kommen, gilt diese Beschränkung nicht für Fernsehlotteriewerbung. Zu den besten Sendeplätzen im Abendprogramm wird für alle drei Fernsehlotterien kostenlos geworben.“ Die Lotterieunternehmen tragen lediglich die Produktionskosten für die Spots.

Die neue Lust aufs Glücksspiel ist um so erstaunlicher, weil in deutschen Landen ein grundsätzliches Spielverbot gilt. Der Gesetzgeber hat sich seit jeher um die Volksgesundheit gesorgt. Die Länder entscheiden, was gespielt wird, und ihr liebstes Spiel ist seit Jahrzehnten Lotto. Neues, wie zum Beispiel das gutgemeinte Projekt einer Umweltlotterie, aus deren Gewinnen dann ökologisch korrekte Projekte finanziert werden sollen, scheitert an der Pfründenverteilung einer ungeschriebenen staatlichen Glücksspielordnung.

Die großen Verlierer der nationalen Zockerei sind die Pferderennbahnen, nach dem Krieg die Branchenführer des Glücksspiels. Besonders die Traber treten auf der Stelle. Das soll sich jetzt ändern. Einem kleinen Trabermagazin auf DSF (das Sat.1-Frühstücksfernsehen wiederholt die Sendung) wurde Rennstallbesitzer Frederic Meisner als Moderator zugelost. Der Mann mit dem Extradreh sieht das als Unterstützung für sein Pferdehobby. Einen Sponsor gibt es schon, denn auf kurzen Distanzen ist Sat.1 unschlagbar. Er heißt Süddeutsche Klassenlotterie.

Einen Stallwechsel hat unterdessen das „Rennen der Woche“ vollzogen: Einst mangels Quote von Sat.1 aus der Liste gestrichen, soll das Tele-Wetterlebnis nun bei n-tv wiederauferstehen. Immer samstags werden in den Sommermonaten sechs Rennen von wechselnden Rennplätzen live übertragen. Gut informierte Zockerfreunde können ihren Spieltrieb dann per n-tv-Wettkonto vom Fernsehsessel aus bedienen. Das ist aber erst der Anfang. Auf der Suche nach neuen Vertriebswegen setzt die defizitäre Wettindurstrie auf Technologiewerte. Die Zukunft, glaubt Wilfried Engelbrecht-Bresges vom Direktorium für Vollblutzucht und Rennen, liegt im Internet. Harry Nutt

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