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Der Traum von dem großen Fund

Einfach mal drauflosbuddeln – und dabei Kulturgeschichte freilegen. Das Abenteuer Schatzsuche lockt nicht nur Archäologen ins Gelobte Land. Freiwillige aus aller Welt graben mit  ■ Von Günter Ross

Zwei Busse schaukeln durch die Nacht. Es ist halb fünf Uhr morgens. Noch färbt keine Sonne den Himmel über den Karmelbergen. Geisterhaft huschen die Schatten der Zypressen vorüber. Als wir nach einer halben Stunde Fahrt schlaftrunken mit Rucksack und Wasserflasche auf staubigen Pfaden den antiken Hügel Tel Dor, 45 Fuß hoch, hinaufsteigen, schimmert im Osten über der verlandeten Lagune die Morgenröte. 4.000 Jahre Stadtstaatgeschichte im Wechsel der Völker und Kulturen birgt der Schutt von Tel Dor.

Hundert Schatzsucher aus Amerika, Kanada, Deutschland und Israel marschieren ihrem Ziel, dem Grabungsfeld, entgegen. Abenteurer, Aussteiger, Studenten, Schüler, Wissenschaftler, Lehrer, Hausfrauen, Krankenschwestern, Juristen, Ärzte „buddeln“ hier 14 Tage, drei oder gar sechs Wochen bei sengender Sonne. Sie tun es freiwillig und finanzieren Reise und Aufenthalt selbst.

Die Ausgrabung „Tel Dor“ ist seit 1980 ein Projekt des Archäologischen Instituts der Hebräischen Universität Jerusalem und der Israel Exploration Society unter der Leitung von Professor Ephraim Stern. Es handelt sich um eine der größten und langfristig angelegten Grabungsstätten Israels. Etwa 2.000 Jahre v. u. Z. wurde Dor von den Kanaanitern auf einem der größten antiken Hügel Israels angelegt; zirka 30 Kilometer südlich von Haifa, direkt an der israelischen Mittelmeerküste.

Um etwa 1100 v. u. Z. eroberten „Sikils“, Seevölker unbekannter Herkunft, vorübergehend die Stadt, und im ersten Jahrtausend wurden die Kanaaniter von den Israeliten unter König David besiegt. Es folgte eine wechselvolle Geschichte. Phönizier, Ägypter, Perser, Griechen, Römer und schließlich die Kreuzritter besetzten Dor und hinterließen ihre Spuren im Sediment. Jetzt werden sie von freiwilligen Grabungshelfern unter Leitung erfahrener Archäologen aus Israel, Kalifornien und Kanada freigelegt. Wir wohnen in der Landwirtschaftlichen Fachschule von Pardess Hanna, einer Kleinstadt nahe der Stadt Hadera in spartanischen Vier- und Fünfbettzimmern. Die Umgangssprache ist Englisch.

Oben auf dem Tel: Schwarze Nylonnetze spannen sich über den Grabungshöhlen; sie sollen die Sonneneinstrahlung dämpfen, wenn wir in 4 bis 5 Meter Tiefe im Geviert, meist gebückt, arbeiten. Wir kauern uns an den Steilhang und blicken hinunter auf die schäumende Brandung. Hinter den Klippen, im tieferen Wasser, haben Taucher Kanonen entdeckt, die Napoleon auf der Flucht vor den Ägyptern ins Meer stoßen ließ.

Während langsam das Morgenrot im Osten über den Karmelbergen heraufdämmert, verblaßt die Mondscheibe hinter dem Hügel über dem Kibbuz Nasholim, einem Touristenort mit einem der schönsten Strände Israels. Mitten im Kibbuz befindet sich das Tel-Dor- Museum im sogenannten Glashaus und bewahrt die Funde der Ausgrabung. Der französische Baron Edmond de Rothschild ließ dort vor hundert Jahren eine Glasfabrik errichten, der aber nur ein kurzes Leben beschieden war.

Von einem Werkzeugcontainer werden Picken, Spaten, Schaufeln, Handfeger und zahllose Plastikeimer auf knöcheltiefen staubigen Wegen herangekarrt. Die Spitzhacke geschultert, klettern die Männer in ihr Karee. Die Frauen kümmern sich um die Aufteilung der schwarzen Plastikeimer, die für den reichlich anfallenden Schutt unentbehrlich sind. Und schon wird geschürft, gekratzt, gehackt und gefegt: Jeder träumt von dem großen Fund. Manchmal sind Tonkrüge, Öllampen, Münzen, Scarabäus-Siegel, Knochen und Perlen darunter. Wir suchen in einer Schicht, die der persischen Periode zugeordnet wird; darunter schließt sich die Eisenzeit an, also etwa 800 bis 1.000 v. u. Z.

„Ich hab' etwas Tolles“, ruft neben unserem Locus Harry, der 20jährige Landschaftsgärtner aus Deutschland. Sein geschultes Auge findet das Fragment einer persischen Maske mit guterhaltenen blauweißen Farbresten. Der Fund erregt Aufsehen. Professor Stern bringt ihn eigenhändig zum Labor in die Universität nach Jerusalem, wo er untersucht und konserviert wird. Da hallt der Ruf „bucketchain“ durch die Grabungshöhle. Alle bilden eine Eimerkette. Jetzt beginnt die schwerste Arbeit, die sich noch etliche Male am Vormittag wiederholt. Mit Schutt gefüllte Eimer wandern von Hand zu Hand. Der letzte entleert den Eimer auf der Halde.

Neun Uhr, eine Stunde Frühstückszeit. Auf dem Frühstücksgelände, das neben den Tennisplätzen des Kibbuz Nasholim unter einem Sonnenzelt liegt, treffen wir auch die Grabungsteams aus Kanada und Kalifornien. Kühle Fruchtsaftgetränke, dazu Quark, Tomaten, Gurken, Paprikaschoten werden gereicht. Die meisten nutzen die Pause für ein erfrischendes Bad im Meer. Die Zeit bis 13 Uhr hat es in sich. Die Hitze nimmt zu, das T-Shirt klebt am schweißtriefenden Körper, in kürzeren Abständen der Griff zur Wasserflasche. Orna, die Supervisorin motiviert mit einem kräftigen Kaffee, die israelischen Studenten stimmen Gesang an. Keiner will schlappmachen. Immer aufs neue geben die Schichten ihre Schätze frei. Der Henkel einer Öllampe ragt aus dem Boden, Millimeter um Millimeter wird gespachtelt und gefegt. Neugierige scharen sich um den Ausgräber. Die Zeit vergeht, ohne daß man es merkt. Tonscherbe um Tonscherbe wird freigelegt, immer wieder wird probiert, ob sich dazugehörige Teile finden. Erst wenn sie sich zusammenfügen, ist man zufrieden und betrachtet ehrfürchtig das jahrtausendealte Gefäß.

Nachmittags findet auf dem Gelände der Fachschule, umsäumt von Zypressen und Platanen das „pottery-reading“ mit den Professoren statt, welche das Alter in „iron-Age“, „Persian time“, „Hellenistic“ oder „Roman“ einteilten. „Seine“ Keramik entdeckt der Ausgräber hier wieder. Das sind die ergiebigsten Stunden des Tages, oft bis nach dem Abendessen. Wir sind dabei und fragen unermüdlich. Doktor Renate Rosenthal aus Flensburg, hier seit 1980 wissenschaftliche Mitarbeiterin, sortiert und bewertet fast jeden Nachmittag beim „pottery reading“ die Keramikfunde. Da sie hebräisch, deutsch und englisch spricht und geduldig Fragen beantwortet, ist sie eine besonders gefragte Gesprächspartnerin.

Wir verbringen den Abend im Camp bei Jossi. Sein Kiosk steht auf einer Terrasse. An rohgeschnitzten Tischen und Bänken, über denen Lampions spärliches Licht auf die Ausgräber werfen, serviert er kühle Biere und Weine. Hier findet die eigentliche Begegnung zwischen den Volontären statt. Schach, Tischtennis, Gespräche, Fachsimpeln über Judaistik, Tips für Ausflüge und Busverbindungen. Adressen werden getauscht mit neugewonnene Freunde oder von günstigen Übernachtungen in Jerusalem oder Haifa.

Die nächste Ausgrabung ist vom 2. Juli bis zum 13. August. Anmeldungen: Dor-Projekt, Erika und Walter Haury, Dominikus-Zimmermann-Str. 9, D–88299 Leutkirch

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