Tiefer Riß in der türkischen Regierungskoalition

■ Nach der Aufnahme weiterer Ermittlungen gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller verschärft sich der innerkonservative Machtkampf

Istanbul (taz) – Die konservative Koalitionsregierung in der Türkei zwischen der Mutterlandspartei und der Partei des rechten Weges bröckelt. Die gemeinsame Front der konservativen Parteien gegen die islamistische Wohlfahrtspartei ist fast der einzige Grund, warum die Koalition überhaupt noch existiert.

Zwischen dem Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei und Exministerpräsidentin Tansu Çiller von der Partei des rechten Weges tobt ein Machtkampf. Çiller soll entsprechend der Rotationsvereinbarung im Koalitionsprotokoll Anfang 1997 wieder Ministerpräsidentin werden.

Vergangenen Donnerstag billigte das türkische Parlament mit überwältigender Mehrheit die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gegen Tansu Çiller wegen Korruptionsworwürfen im Zusammenhang mit der Privatisierung des Automobilkonzerns Tofas. Wenige Wochen zuvor hatte bereits das türkische Parlament dem Antrag der islamistischen Wohlfahrtspartei zugestimmt, einen parlamentarischen Ermittlungsausschuß gegen die Exministerpräsidentin wegen Korruptions- und Bestechungsvorwürfen im Zusammenhang mit der Elektrizitätsgesellschaft Tedas einzurichten.

In beiden Fällen stimmten Abgeordnete des Koalitionspartners für die Einrichtung des Ermittlungsausschusses. Die Auschüsse, die binnen zwei Monaten dem Parlament einen Bericht vorlegen müssen, können die Forderung aufstellen, daß Çiller vor dem Verfassungsgericht der Prozeß gemacht wird. Stimmt das Parlament mit einer Mehrheit zu, muß sich Çiller vor Gericht verantworten.

376 Abgeordnete stimmten am Donnerstag für, 141 Abgeordnete gegen die Einrichtung des Ermittlungsausschusses. Çiller sieht sich „mitten im Bermudadreieck von Ausbeutern, Gegnern der Zollunion und Separatisten“, wie sie auf einer Fraktionssitzung formulierte. An ihren Koalitionspartner, den türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz, der persönlich nicht an der Abstimmung teilnahm, gingen herbe Worte. „Tritt hervor. Diese Nation mag keine Leute, die hinterrücks zum Schlag ausholen.“ Nichtsdestotrotz scheint Çiller vorläufig die Koalition nicht in Frage zu stellen. Sie wird wohl die Abschlußberichte der parlamentarischen Komissionen abwarten.

Lachender Dritter beim Zwist der Koalitionsparteien ist die Wohlfahrtspartei. In den Meinungsumfragen haben beide Koalitionsparteien verloren, während die Islamisten zulegen konnten. Ömer Erzeren